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Frauenportrait # 29

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Hildegard Joos - Pionierin des österreichischen Konstruktivismus


Hildegard Joos © Slg. Gertraud und Dieter Bogner
Der Konstruktivismus hatte es „immer ordentlich schwer gehabt, bei einem etwas breiteren Publikum anzukommen, obschon er bei kleinen Kreisen von aufgeklärten Kennern jeweils sehr geschätzt wurde.“ (Harold Joos) Mit den Arbeiten von Künstlern wie Kasimir Malewitsch, Wladimir Tatlin, El Lissitzky und Piet Mondrian war international bereits ein solides Fundament gelegt, und doch schlug dem Konstruktivismus wie auch der konkreten Kunst in Österreich traditionell eine Ablehnung entgegen, die auf der Unterstellung eingeschränkter individualistischer Schöpfungskraft und schwerer Vermittelbarkeit der Werke fußte. Es scheint schwer zu begreifen zu sein, dass „die banal anmutenden Kompositionen, Monochromie inbegriffen, durchaus Resultate langer komplizierter Denkprozesse sein können.“ (Jan Tabor) Bei aller Skepsis gegenüber konkreter und konstruktivistischer Kunst in Österreich haben diese Stilrichtungen doch auch hierzulande immer wieder Lichtmomente erlebt, einige davon durch Hildegard Joos.

Das Frühwerk der österreichischen „Grande Dame“ der geometrisch-abstrakten Malerei war gemäß dem zur Nachkriegszeit gängigen Kunstempfinden noch deutlich dem Figürlich-Expressiven verpflichtet. Ende der 1950er-Jahre erfuhr ihr künstlerisches Selbstverständnis jedoch einen radikalen Wandel durch die Begegnung mit dem Schweizer Philosophen Harald Schenker (alias Harold Joos), der ihr Interesse am Konstruktivismus weckte, von dessen intellektueller Überlegenheit gegenüber anderen Kunstrichtungen er überzeugt war. Die beiden sollte fortan nicht nur eine Lebensgemeinschaft, sondern vor allem eine intensive geistige Beziehung verbinden, die das Schaffen von Hildegard Joos nachhaltig beeinflusste. 1959 ließen sich Hildegard und Harold Joos in Paris nieder, wo sie ein gemeinsames Atelier einrichteten und mit gleichgesinnten Künstler/innen regen Austausch pflegten. Nach einer kurzen informellen Phase begann sich Hildegard Joos gegen Mitte der 1960er-Jahre mit Bildkompositionen aus schiefwinkeligen und ellipsoiden Formen auseinanderzusetzen. Ersten Niederschlag fand dies in einem umfangreichen Werkzyklus mit dem Titel „Geometrische Reihe“, den sie 1964 in der Kellergalerie der Wiener Secession präsentierte. Für diese von nuancierten Weißund Grautönen bestimmte Malerei prägte die Künstlerin den Begriff der „monistischen Malerei“: „Sie ist in dem Sinne monistisch, daß sie jedesmal von einem einzigen Ding, von einem einzigen Formen-Typus spricht. […] Hier aber wiederholt die Malerin die Form 3 oder 4 Mal; das erste Element, das als Blickfang dient, ist sehr groß im Verhältnis zum Rahmen; die Größenordnung der Elemente ist dann durch so etwas wie arithmetische Progression gebrochen (wie 9–3–1 z.B.). Eine besondere Art der Dichte, zwingende A-Rithmie. Das Ding muß ‚eins‘ bleiben. So wird die Farbe ‚eins‘ sein, […] Ton in Ton.“ (Harald Schenker in: „Manifest der monistischen Kunst“, 1964) Um dem monochromen Farbauftrag Struktur zu verleihen, verwendete die Künstlerin aufgerauten Filz oder Jute als Hildegard Joos.

Ausstellungsansicht Landesmuseum Niederösterreich,
Foto: Daniel Hinterramskogler
Zu Beginn der 1970er-Jahre schließlich schuf Hildegard Joos eine Vielzahl von Werkzyklen, die das Thema Symmetrie behandeln. Hervorzuheben ist die Serie der „Balancen“ beziehungsweise „Verschiebungen“, in denen die Bildfläche optisch in zwei Hälften geteilt ist, wobei sich die Farbkomposition der geometrischen Formen der einen Hälfte in der anderen jeweils spiegelbildlich wiederholt. Um in Österreich eine ähnliche Plattform für konstruktivistische beziehungsweise konkrete Kunst zu schaffen, wie Hildegard Joos sie in Paris durch ihre Aufnahme in die Sektion „Art Cinétique, Art Concret, Art Constructif “ des Salon des Réalités Nouvelles kennengelernt hatte, regte sie 1975 mit dem Kunsthistoriker Dieter Bogner die Gründung der Gruppe Exakte Tendenzen an. Neben Hildegard und Harold Joos gehörten Kurt Ingerl, Brigitta Malche, Oskar Putz und Sabine Weiger zum inneren Kreis der Gruppe, deren Ziel es war, der konkret-konstruktiven Kunst mittels Ausstellungen und Symposien zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ab 1982 intensivierte sich die Zusammenarbeit von Hildegard und Harold Joos. Sie traten nunmehr unter der Bezeichnung „H+H Joos“ in Erscheinung und versahen ihre Gemeinschaftswerke mit einem eigens gestalteten Signet. Charakteristisch für diese Zeit ist die Werkreihe der „Narrativen Geometrismen“, in der die nach mathematischen Prinzipien gestalteten Formen ohne ein erkennbares durchgängiges Schema über die Bildfläche verteilt sind. Die Motive wiederholen sich zwar von Bild zu Bild, vermitteln aber aufgrund der unzähligen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten immer wieder eine neue Botschaft. Ab Anfang der 1990er-Jahre entstanden die Serien der „Raumnarrative“ und der „Reduzierten  Geometrismen“, die auf das Vokabular früherer Werkphasen zurückgreifen, wobei sich die Anordnung der Bildelemente auf jeweils eine Ecke konzentriert und die restliche Bildfläche von einer einheitlichen Farbgebung beherrscht wird. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Klarheit der Form einerseits und dem durch mehrere Farbschichten erzeugten vibrierenden Effekt der Bildoberfläche andererseits.
In ihrem Spätwerk emanzipierte sich Hildegard Joos wieder zusehends von ihrem Partner, indem sie sich von der formalen Strenge löste und mitunter auch zur malerischen Gestik ihrer künstlerischen Anfänge zurückkehrte. Raster- und Schachbrettmuster blieben allerdings weiterhin eine Konstante in ihrem Schaffen. Trotz einer schweren altersbedingten Sehbehinderung arbeitete sie bis zuletzt täglich an ihren Werken und starb im Alter von 95 Jahren im Wiener Atelier. Mit ihrem vielseitigen Oeuvre, das die schier unbegrenzten Möglichkeiten geometrisch-abstrakter Formgebung eindrucksvoll belegt, leistete Hildegard Joos einen wichtigen Beitrag zu einer breiteren Anerkennung der konkret-konstruktiven Malerei in Österreich. Die Bedeutung ihres Werkes wurde zuletzt 1997 durch Retrospektiven in der Wiener Albertina und der Österreichischen Galerie Belvedere dokumentiert.


Text: Alexandra Schantl, aus dem Ausstellungsbegleiter der Ausstellung "Ausnahmefrauen - Christa Hauer, Hildegard Joos, Susanne Wenger" (30.11. 2013 – 12.10. 2014) im Landesmuseum Niederösterreich

Frauenportrait # 30

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NeoBrennDirndln

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger
Die Formation aus dem Mostviertel, die mit ihren Musikkabarett-Programmen kein Auge trocken lässt. Seit 2008 setzen die 5 Frauen ihre schauspielerischen Fähigkeiten mit Musik aus allen Stilrichtungen gekonnt in Szene. Gewürzt mit eigenen Texten, reicht ihr musikalischer Stilmix von Jazz- Rock- und Volksmusik bis Austropop und Oberkrainer, spannt den Bogen von Klezmer und Brass hin zum klassischen Wienerlied und macht sogar vor Musical, Oper und Operette nicht Halt. Verfeinert mit Eigenkompositionen lässt ein Abend mit den NeoBrennDirndln keine musikalischen Wünsche offen.

Die gemeinsame Freude an der Musik und die jahrelange intensive Freundschaft der fünf Frauen sind der Motor für ihre Programme. Persönliche Erfahrungen werden mit Witz und Humor in den gemeinsamen Proben musikalisch verarbeitet und jeder einzelnen Künstlerin sozusagen auf den Leib geschneidert. So darf jede Künstlerin ihre ganz persönliches schauspielerisches Talent und ihre musikalische Fähigkeiten zum Ausdruck bringen. Tabus gibt es keine - alles darf gesagt werden. Politische Themen werden bei den NeoBrennDirndln allerdings ausgespart.

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger
Das Publikum darf in die Welt der NeoBrennDirndln Einblick nehmen. Das, was sie bewegt und berührt, wird gesungen, gezupft, gestrichen und geschlagen. Dafür ist eine Vielzahl an Instrumente nötig. Gitarre, Posaune, Tenorhorn, Melodika, Kontrabass, Tuba, Cajon, Trompete, Bockflöte, Klarinette und Saxophon kommen in allen Varianten und in abwechselnder Besetzung zum Einsatz.
Was macht die NeoBrennDirndln aus?
Vielseitigkeit, Kreativität, Teamgeist und Individualität, der Mut zu sich selbst zu stehen und sich so auszudrücken, wie es einem gefällt. Mit ihrem Programm „Primetime“ präsentieren die 5 Künstlerinnen die besten Ausschnitte ihrer vergangenen Programme. Wagen Sie einen Abend voller Lachgeschichten und Tatsachenberichten. Von märchenhaften Hausfrauen und unerreichbaren Traummännern ist hier die Rede, schöne Alpenlandschaften werden besungen und der Ausblick in tiefste Abgründe und schwindelnde Höhen lässt an Abwechslung nichts zu wünschen übrig!

NeoBrennDirndl, Foto © Johann Hensen Perger

Die NeoBrenndirndln präsentieren sich unverblümt, stimmgewaltig und gefühlsecht und garantieren Ihnen naturnahen Almenrausch mit Witz und Wahnsinn – schonungslosen Lachmuskelreiz inklusive!

Mehr zu den Dirndln (Sandra Hinterhofer, Barbara Wippl, Sabine Rauchberger, Ulli Niklas und Monika Wippl) gibt es unter:
www.neobrenndirndln.at



Schalten Sie an und tauchen Sie ein, wenn es heißt „NeoBrennDirndln ON AIR“ am
Donnerstag 18. September 2014, 19:30 Uhr im Landesmuseum Niederösterreich.
Mehr Infos unter: www.landesmuseum.net/de/kalender/musikkabarett 

Text: Monika Wippl

Frauenportrait # 31

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Susanne Wenger - Ein Leben in Afrika


Susanne Wenger, Foto: Didi Sattmann
Susanne Wenger, am 4. Juli 1915 in Graz geboren, begann ihre künstlerische Ausbildung im Alter von 16 Jahren an der Kunstgewerbeschule in Graz. Danach besuchte sie in Wien die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt, ehe sie an die Akademie für bildende Künste wechselte, wo sie von 1933 bis 1935/36 in der Meisterklasse für Freskomalerei bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl studierte. Während des Zweiten Weltkriegs pflegte sie engen Kontakt zum Bildhauer Heinz Leinfellner und dem oppositionellen Kreis, der sich in seinem Atelier traf. Wenger selbst teilte zu der Zeit ihr Atelier mit Johann Fruhmann, dem späteren Ehemann Christa Hauers, und versteckte dort vom Nazi-Regime verfolgte Künstler. Nach dem Kriegsende hielt sich die Künstlerin zunächst mit dem Verkauf von Hampelmännern über Wasser und arbeitete als Illustratorin für das Kinderblatt „Unsere Zeitung“, für das sie mehrere Titelseiten gestaltete und Kurzgeschichten verfasste.

Als 1947 in Wien der Art Club, eine freie, international ausgerichtete und antifaschistische Künstlervereinigung gegründet wurde, waren Susanne Wenger, Maria Biljan-Bilger und Greta Freist zunächst die einzigen weiblichen Mitglieder. 1948 hielt sich Susanne Wenger längere Zeit in der Schweiz auf und begegnete in Zürich dem Maler und Kunsthändler Johann Egger, besser bekannt als Hansegger, der in seiner Galerie Des Eaux-Vives die aufstrebenden Vertreter der Schweizer Moderne zeigte. Seinem Rat folgend zog Susanne Wenger 1949 nach Paris, wo sie den Sprachforscher Ulli Beier kennenlernte und hei¬ratete. Ein Jahr später brach sie mit ihm nach Ibadan in Nigeria auf. Bei einem Aufenthalt in der Stadt Jebba erkrankte sie an offener Tuberkulose und lag 14 Monate im Spital. Nach ihrer Genesung zog sie 1952 in die Kleinstadt Ede, wo sie zum ersten Mal mit dem Obàtálá-Priester Ajagemo, ihrem späteren Lehrmeister, in Kontakt kam. Ajagemo erkannte in ihr eine würdige Repräsentantin der Yorùbá-Religion und führte sie in deren Mythen und Rituale ein. Nach jahrelanger Initiation und der darauffolgenden Isolati-onszeit wurde Susanne Wenger schließlich selbst zur Òsun-Priesterin geweiht. 1958 ließ sie sich in Oshogbo nieder, um den in Verfall befindlichen Òsun-Schrein zu revitalisieren. Dabei arbeitete sie mit einer Gruppe von einheimischen Tischlern, Holzschnitzern, Bildhauern und Batikkünstlern zusammen, deren Arbeiten Wenger als New Sacred Art bezeichnete. Im Laufe von etwa 20 Jahren entstand der sogenannte Heilige Hain, ein Arrangement aus Architektur, Plastik, Malerei, sowie Religion, Kunst und Natur, dessen Erhaltung heute die wichtigste Aufgabe der New-Sacred-Art-Gruppe darstellt.
Neben dem umfassenden Werk des Heiligen Hains schuf Wenger auch einzigartige Ölbilder und Batiken in der traditionellen Àdire- beziehungsweise in Wachstechnik, die 1985 anlässlich ihres 70. Geburtstags erstmals in größerem Umfang in der Kunsthalle Wien gezeigt wurden. Um ihr Werk zu erhalten, gründete sie 1995 im Zuge einer Ausstellung in der Kunsthalle Krems das Susanne Wenger Archiv, das im Jahr 2004 Räume an der Kunstmeile Krems bezog und 2011 zur Susanne Wenger Foundation erweitert wurde. Der Heilige Hain in Oshogbo wurde 2005 von der unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Susanne Wenger starb am 12. Jänner 2009 und wurde in einem der Schreine im Heiligen Hain in Oshogbo beigesetzt.

Text: Alexandra Schantl, aus dem Ausstellungsbegleiter der Ausstellung "Ausnahmefrauen - Christa Hauer, Hildegard Joos, Susanne Wenger" (30.11. 2013 – 12.10. 2014) im Landesmuseum Niederösterreich

Frauenportrait # 32

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Liese Prokop – von der Sportlerin zur Politikerin

Grundsteinlegung Landesmuseum (Ausschnitt)
am 15.9.2000, Foto NLK Isensee



Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Liese Sykora in Korneuburg. Nach dem Krieg übersiedelte die Familie nach Tulln. Ihr Vater Dr. Hans Sykora wurde später Bezirkshauptmann. In Tulln besuchte sie wie ihre Geschwister die Volksschule und das Gymnasium. Nach ihrer Matura 1959 begann sie mit einem Studium an der Universität Wien in den Fächern Biologie  und Sportwissenschaften. Nach acht Semestern musste sie ihr Studium allerdings abbrechen, da ihr Vater plötzlich einem Schlaganfall erlegen war und die kinderreiche Familie – sie waren sieben Geschwister – finanzielle Probleme bekam. Fortan arbeitete sie als Skilehrerin in Annaberg und betreute Schulklassen als Schilehrerin.


Noch während ihres Studiums begann ihre sportliche Karriere: 1961 wurde sie Staatsmeisterin im Hochsprung und brach mit 161 cm den geltenden österreichischen Rekord. 1964 steigerte sie sich auf 164 cm und schaffte so das Limit für die Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Tokio. Ihr Trainer war Gunnar Prokop, den sie 1965 ehelichte. Ihre sportlichen Ambitionen lebte sie nicht nur in einer Sportart aus. Insgesamt wurde sie 50fache Staatsmeisterin in den unterschiedlichsten leichtathletischen Disziplinen, so im Fünfkampf, im Weitsprung, im Hochsprung, im Hürdenlauf, in der Staffel und im Kugelstoßen. Bei der Universiade in Tokio 1967 wurde sie Weltmeisterin. Auch bei Olympischen Spielen trug sie sich in die Liste der Siegerinnen ein: In Mexiko City 1968 gewann sie die Silbermedaille im Fünfkampf. 1969 gelang ihr der Weltrekord im Fünfkampf mit 5.089 Punkten, den sie im selben Jahr noch auf 5.352 Punkte verbesserte. Als sie diese Rekorde aufstellte, war sie bereits Mutter. Denn 1966 kam ihre erste Tochter Karin zur Welt. 1970 folgte der erste Sohn, Gunnar und 1979 der zweite, Eric.

Liese Prokop gab sich nicht mit ihrer sportlichen Tätigkeit zufrieden. 1969 zog sie als jüngste Abgeordnete in den Niederösterreichischen Landtag ein. 1981 bestellte sie Landeshauptmann Siegfried Ludwig zur Landesrätin für Sport, moderne Kunst, Soziales sowie Jugend- und Familienangelegenheiten. Als erste Frau Österreichs wurde sie 1992 zur Landeshauptmann-Stellvertreterin berufen. Während ihrer Arbeit setzte sie sich immer für die Gleichstellung der Frauen an und betrat damit Neuland. Sie setzte sich für Gewaltschutz ein, förderte das Mentoring und schuf neue Einrichtungen im Land. So gehen auf ihre Initiative  das Niederösterreichische Frauenreferat und die Gleichbehandlungskommission zurück.  2004 wechselte sie in die Bundespolitik. Wolfgang Schüssel berief sie in sein Kabinett als erste Innenministerin Österreichs. Ihre Angelobung erfolgte am 22. Dezember 2004. Auch auf der internationalen Bühne der Politik behauptete sie sich als Frau: Als erste Frau wurde sie 2000 zur Präsidentin der Versammlung der Regionen Europas gewählt und 2002 für eine weitere Periode in diesem Amt bestätigt.

Franz Rupp und Liese Prokop 2004 bei einer 
Veranstaltung des Kulturbezirks St. Pölten,
Foto: Helmut Lackinger
Ihr Tod kam völlig unerwartet. Am 31. Dezember 2006 verstarb Liese Prokop auf dem Weg ins Krankenhaus. Im Gedenken an ihre Leistungen stiftete das Land Niederösterreich den Liese-Prokop-Frauenpreis, der seit 2007 in den Kategorien Wirtschaft, Kunst, Kultur und Medien,  Wissenschaft sowie Soziales und Generationen vergeben wird. Der Österreichische Integrationsfonds vergibt jedes Semester das Liese Prokop Stipendium an sozial bedürftige Studierende mit Migrationshintergrund, die sich im Vorstudienlehrgang oder im ordentlichen Studium befinden oder ihr im Herkunftsland absolviertes Studium in Österreich nostrifizieren lassen.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Frauenportrait # 33

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Bertha von Suttner

Bertha von Suttner
© Österreichische Nationalbibliothek
www.onb.ac.at

Wer kennt sie nicht, die erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner? Von 1966 bis 1983 blickte man ihr in die Augen, wenn man eine 1000 Schilling Banknote in die Hand nahm. Weitaus häufiger bekommen wir sie heute zu Gesicht, ziert ihr Bild doch in Österreich die 2-Euro-Umlaufmünze.
Aber was wissen wir wirklich von ihr? Hand aufs Herz, wer von uns hat schon einmal ihr Buch „Die Waffen nieder“ in der Hand gehabt oder sogar darin gelesen? Ungewöhnlich wie der Umstand, dass sie, obwohl eine Frau, 1905 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist auch ihr Leben.

Am 9. Juni 1843 kam sie als Bertha Sophia Felicita in Prag als Halbwaise zur Welt. Ihr Vater, der k. k. Feldmarschallleutnant Franz Michael Graf Kinsky, war noch vor ihrer Geburt im Alter von 75 Jahren verstorben. Ihre Kindheit und Jugend glichen der anderer adeliger Töchter: Sie genoss die übliche Erziehung, lernte mehrere Sprachen und begleitete ihre Mutter auf deren Reisen. Das Blatt wendete sich, als ihre Mutter Sophie Wilhelmine, geb. Körner, an der Spieltischen der Monarchie das Erbe endgültig bis auf den letzten Heller verspielt hatte. Als Tochter aus gutem Haus hatte Bertha nie einen Beruf erlernt, an Geld für eine Aussteuer und Mitgift hatte es immer gemangelt, so trat sie 1873 eine Stelle als Gouvernante bei Freiherr Karl Gundakar Ritter von Suttner in Wien an, der auch über Besitzungen in Niederösterreich verfügte, so gehörte ihm etwa das Schloss Zogelsdorf und die Herrschaft Harmannsdorf. Bertha sollte dessen vier Töchter unterrichten. In der Familie gab es aber nicht nur Töchter, es gab auch Söhne. Zwischen dem jüngsten – Arthur Gundakar – und der Gouvernante erwachten Gefühle: ein Ärgernis, nicht nur weil sie eine Angestellte war, sondern auch und vor allem deshalb, weil ein Altersunterschied von sieben Jahre sie trennte – und Bertha war die ältere! Auch heute zählt eine solche Verbindung eher zu den Ausnahmen.

Quelle: OeNB; Weiter Schilling-Banknoten (1945-2001)
http://bit.ly/1mXLOpI
Um eine Vertiefung der Beziehung zu verhindern, entließ die Hausherrin die Gouvernante und vermittelte ihr eine Anstellung als Privatsekretärin bei Alfred Nobel in Paris. Allerdings dauerte das Arbeitsverhältnis nur zwei Wochen, da Nobel in seine Heimat Schweden zurückkehrte. Bertha kam nach Wien zurück. Am 12. Juni 1876 heirateten die Liebenden heimlich, was die Enterbung zur Folge hatte. Für acht Jahre fand das Ehepaar Zuflucht in Georgien am Hof der Fürstin Ekatarina Dadiani von Mingrelien, die Bertha bei einem ihrer Aufenthalte in Bad Homburg kennen gelernt hatte. In Georgien begannen beide sich als Schriftsteller zu betätigen: Bertha von Suttner schrieb – noch unter dem männlichen Pseudonym B. Oulot – für österreichische Zeitschriften Essays und Kurzgeschichten, ihr Mann verfasste Berichte über den Russisch-Türkischen Krieg, der 1877 ausgebrochen war. 1885 kehrten beide nach Österreich zurück. Es kam zu einer Aussöhnung mit der Familie, und das Ehepaar zog nach Gut Harmannsdorf, dem Familienschloss der Suttners, in der Nähe von Eggenburg gelegen.

Nach ihrer Rückkehr in die Heimat blieb Bertha von Suttner weiterhin schriftstellerisch tätig. Mit dem 1889 veröffentlichten Roman „Die Waffen nieder“ wurde sie eine der Gallionsfiguren der Friedensbewegung. Mit diesem Werk liefert sie uns auch ein Sittengemälde ihrer Zeit: Die Heldin des Romans, Gräfin Martha Althaus, verkörpert die typische Tochter aus adeligem Haus. Im Sinne eines klassischen Entwicklungsromans löst sie sich im Lauf der Geschichte langsam aus dem konservativen Gedankengut ihres Elternhauses und wird zur glühenden Pazifistin und Anhängerin Darwins, so wie Bertha von Suttner. Der Roman wurde in zwölf Sprachen übersetzt und erschien in 37 Auflagen, vielleicht auch deshalb, weil er nicht ein politisches Manifest präsentierte, sondern das von vielen in dieser Zeit erlittene Schicksal einer Frau, die ihren ersten Mann im Krieg verliert und ihre Verwandten durch die Choleraepidemie, die als Folge eines Krieges auftrat.
In der Folge beteiligte sich Bertha von Suttner aktiv an vielen der sich in Europa konstituierenden Friedensvereine. 1891 forderte sie in einem Artikel in der „Neuen Freien Presse“ die Gründung einer „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“. Sie wurde deren erste Präsidentin und blieb dies bis zu ihrem Tod 1914. Anlässlich des Weltfriedenskongresses in Rom wurde sie 1891 zur Vizepräsidentin des „Internationalen Friedensbüros“ gewählt. 1892 gründete sie die „Deutsche Friedensgesellschaft“. 1899 war sie an den Vorbereitungen zur „Ersten Haager Friedenskonferenz“ in Den Haag beteiligt. Daneben setzte sie sich auch für den Tierschutzgedanken ein. In dem 1898 erschienenen Werk „Schach der Qual“ trat sie entschieden gegen Tierversuche ein.
Ihr Privatleben verlief nicht ganz so positiv. 1889 war die Nichte ihres Gatten, die sechzehnjährige Marie von Suttner, in ihren Haushalt eingezogen. Zwischen dem blutjungen Mädchen und ihrem 39jährigen Onkel entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die bis zu dessen Tod 1902 andauerte und Bertha von Suttner schwer verletzte.

Nach dem frühen Tod des Ehemannes musste das Gut wegen Überschuldung versteigert werden. Bertha von Suttner nahm ihren Wohnsitz wieder in Wien. In den kommenden Jahren finden wir sie auf Reisen zu Kongressen der Friedens- und Frauenbewegungen. So war sie 1904 die prominenteste Teilnehmerin auf der „Internationalen Frauenbewegung“ des Frauenweltbundes in Berlin. Sie reiste für sieben Monate in die Vereinigten Staaten, nahm am Weltfriedenskongress in Boston teil, reiste von Stadt zu Stadt und hielt bis zu drei Vorträge täglich. Sie wurde auch von Theodor Roosevelt empfangen. Eine Krönung erfuhren ihre Aktivitäten durch die Zuerkennung des von ihr angeregten Friedensnobelpreises, den sie am 18. April 1906 in Kristiania in Empfang nehmen durfte.
In den ihr noch verbleibenden Lebensjahren warnte sie vor der Aufrüstung, die in allen Ländern Europas erschreckende Ausmaße annahm. Die zweite Friedenskonferenz 1907 in Den Haag beschäftigte sich schon mehr mit der Regelung des Kriegsrechts und versuchte erst gar nicht, einen Weg zu einem friedvollen Miteinander zu finden. Bertha von Suttner sah dies alles mit großer Besorgnis und mahnte auf ihren Vortragsreisen, die sie u.a. auch wieder in die Vereinigten Staaten führten, vor der Gefahr eines internationalen Vernichtungskrieges. Wie Recht sie mit diesen Warnungen hatte, musste sie nicht mehr erleben. Sie starb am 21. Juni 1914, wenige Tage vor dem Attentat von Sarajewo.
Wenn Sie einmal Zeit und Muße haben: Sie finden den Roman „Die Waffen nieder“ online unter: gutenberg.spiegel.de/buch/die-waffen-nieder-2594/1.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Naturgemäß - NÖ Perspektiven

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Zwischen Kunst und Geschichte, mit denen das Landesmuseum Niederösterreich in
St. Pölten zuletzt in Verbindung gebracht wurde, sollte man den dritten wesentlichen
Bereich nicht vergessen: Das von Hans Hollein geplante und 2002 eröffnete Haus hat
seinen naturkundlichen Bereich neu arrangiert und attraktiviert.
Naturbereich Landesmuseum, Foto: Theo Kust
"Naturgemäß“, wie erinnerlich eines von Thomas Bernhards Lieblingsvokabeln zur Verstärkung einer kategorischen Behauptung, bedeutet laut Duden eigentlich den besonderen Bedingungen der Natur entsprechend und beschreibt solcherart pointiert, was man programmatisch auch als Darstellung komplexer naturwissenschaftlicher Grundaussagen anhand regionaler Gegebenheiten umschreiben könnte.

Naturbereich Landesmuseum, Foto: Theo Kust

Naturbereich Landesmuseum, Foto: Theo Kust
Naturbereich Landesmuseum, Foto: Theo Kust
Natürlich kann in Bezug auf Flora und Fauna kein Museum leisten, was ein Zoo oder ein botanischer Garten kann, die freilich hinter jeder seriös gemachten Filmdokumentation zurückstehen müssen, die wiederum ihrerseits nichts ist im Vergleich dazu, die Natur selbst – am besten in ihrer ganzen uneingeschränkten und vor allem unregulierten Pracht und Herrlichkeit – unvermittelt erleben und empfinden zu können. Aber wer ist schon willens und/oder in der Lage, in die Region der Gämsen hinaufzuklettern, in das Innere eines Fuchsbaus zu blicken oder Welse schwimmen zu sehen? In St. Pölten kann man das – und nicht einmal alle der genannten Tiere sind Präparate. Denn das Landesmuseum Niederösterreich ist das einzige in Österreich, das permanent auch lebende Tiere zeigt (und dementsprechend auch eine Betriebsbewilligung als Zoo hat). „Zwar wird hier die Natur nur exemplarisch gezeigt, es reicht aber für einen erstklassigen Biologie-Unterricht“, hatte Dr. Helmut Pechlaner, seinerzeit Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates, bei der Eröffnung vor zwölf Jahren gemeint. Und so, wie sich die „Natur draußen“ in diesem Zeitraum manchmal mehr, manchmal weniger (manchmal in den von Menschen weitgehend unberührten Zonen augenscheinlich auch gar nicht) gewandelt hat, so haben sich auch die Anforderungen an eine zeitgemäße Präsentation und Vermittlung der „Natur drinnen“ geändert. Den Rundgang durch den naturkundlichen Bereich des Hauses startet man heute freilich am besten dort, wo man ihn schon 2002 begonnen hat: ganz oben.
...

Den vollständigen Artikel können Sie hier nachlesen:
NÖ Perspektiven Herbst 2014, S. 8-11: https://www.noe.gv.at/bilder/d82/Per_2014_03.pdf
Text: Rainer Hirschkorn

Frauenportrait # 34

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Marianne Perger – eine kämpferische Frau



Marianne Perger, verh. Hainisch
© Österreichische Nationalbibliothek
http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_hainisch.htm
Aus Baden kommen nicht nur Künstlerinnen, in Baden stand auch die Wiege einer Frau, die in ihrem zukünftigen Leben eine bedeutende Rolle in der Frauenbewegung spielen sollte. Marianne Perger kam am 25. März 1839 in Baden zu Welt. Sie entstammte einer angesehenen Familie. Die Grabmäler ihrer Familie am Badener Friedhof sprechen eine beredte Sprache. Der Kaufmann Josef Perger war 1810–1824 und 1829–1845 Ortsrichter von Gutenbrunn, das erst 1850 in Baden eingemeindet wurde. Er beauftragte den Biedermeierarchitekten Josef Kornhäusel mit der Errichtung einer Villa, heute Gutenbrunnerstraße 1. Sein Sohn Heinrich Perger (1810–1878) wurde 1860 in den Adelsstand erhoben und zog ein Jahr später in den Landtag ein. Dessen Neffen waren bedeutende Sammler und Mäzene, deren Spuren sich noch heute in den Sammlungen des Rollettmuseums finden. Vor diesem Hintergrund wuchs Marianne Perger auf.


1857 heiratete sie den Industriellen Michael Hainisch. Sie wohnten in Aue bei Gloggnitz, wo die Familie ihres Gatten eine Baumwollspinnerei errichtet hatte. Damit gehörte sie der führenden Gesellschaftsschicht der Monarchie an. Trotzdem setzte sie sich sehr bald nach ihrer Eheschließung für eine Gleichstellung der Frau in allen Belangen ein. Ein auslösender Moment für ihre Aktivitäten war das Schicksal eines befreundeten Ehepaares, das infolge der Baumwollkrise nach dem nordamerikanischen Bürgerkrieg sein Vermögen verloren hatte. Die Ehefrau fand ohne Ausbildung keine „der sozialen Stellung ihres Mannes“ adäquate Erwerbstätigkeit. Das zeigte Marianne Hainisch deutlich, wie notwendig auch für Mädchen eine gute Ausbildung wäre. Einer ihrer Leitsprüche wurde in der Folge: „Es gibt überhaupt nichts, was man nicht lernen könnte.“ Und ganz in diesem Sinne war sie eine der ersten Frauen, die in einer Versammlung als Rednerin für die Gleichberechtigung der Frauen im Unterricht und vor dem Gesetze auftrat und die Errichtung von Realgymnasien für Mädchen beantragte. Aus privaten Mitteln gründete sie ein sechsklassiges Lyzeum, das 1891 Öffentlichkeitsrecht erhielt. 1892 wurde das erste Gymnasium für Mädchen im deutschsprachigen Raum errichtet. Die erste Mädchenklasse wurde in den Räumen des Gymnasiums in der Hegelgasse 12 in Wien eingerichtet. 1910 übersiedelte die Schule in das Gebäude Rahlgasse 4.
Marianne Hainisch (ganze Figur sitzend, rechts vorne) mit von links nach rechts: Luise Philipp,
Marianne Zycha, Frieda Edle von Kühn, August Kemetter, Leopoldine Miklas, Marie Perzina,
Josefine Mlczoch und Ottilie Politzer; Bild von Otto Schöller, 1934 © ÖNB, www.onb.ac.at

Nach ihrem ersten öffentlichen Auftreten setzte sie sich in der Folge auch für das Frauenstimmrecht und die Reformierung des Ehe- und Familienrechtes ein. 1902 gründete sie den Bund Österreichischer Frauenvereine, dem damals 13 angehörten, 1914 waren es 90. Unter ihrer Leitung gelang es, den Bund Österreichischer Frauenvereine in den Verein International Council of Women (ICW) einzubinden. 1909 wurde sie dessen Vizepräsidentin. Sie engagierte sich an der Seite Bertha von Suttners in der Friedensbewegung und übernahm nach deren Tod auch die Leitung der Friedenskommission.
Neben ihren öffentlichen Auftritten auf Versammlungen verfasste sie auch zahlreiche Schriften, die sich mit den brennenden Fragen der Frauenbewegung beschäftigten: z.B. „Die Frage des Frauenunterrichtes“, „Die Brotfrage der Frau“, „Frauenarbeit“, „Ein Mutterwort über die Frauenfrage“. 1896 hielt sie im Verein für erweiterte Frauenbildung in Wien einen Vortrag, der sich mit „Seherinnen, Hexen und die Wahnvorstellungen über das Weib im 19. Jahrhundert“ befasste und der auch im selben Jahr im Druck erschien. Es war dies eine Antwort auf Eduard Alberts Schmähschrift, die er gegen die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium 1895 richtete.
Nach dem Ersten Weltkrieg widmete sie sich verstärkt der Friedensbewegung und war aktiv in der Fürsorge tätig. Ihr Sohn Michael Hainisch wurde 1920 Bundespräsident der Republik Österreich. Auf ihre Initiative hin wurde 1926 der Muttertag eingeführt. Sie war auch Mitbegründerin der 1929 ins Leben gerufenen Österreichischen Frauenpartei, die endlich Frauen zu ihrem Recht verhelfen sollte.
Marianne Hainisch starb am 5. Mai 1936 im Alter von 97 Jahren in Wien.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Pilgern mit Eduard Gurk

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Eine Spurensuche im Biedermeier


Was mag wohl Eduard Gurk (1801-1841), der Biedermeiermaler, empfunden haben, als er 1833 im Gefolge Erzherzog Ferdinands wallfahrten ging und die „mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell in Steyermark“ in 40 Aquarellen festhielt, „aufgenommen nach der Natur“? Wir wissen es nicht. Die Fotografie steckte noch in sehr kleinen Kinderschuhen, so wurde ein malender Chronist als Hofberichterstatter engagiert. Heute wäre vermutlich ein Seitenblicke-Team mit Kamera fixer Bestandteil eines solchen Ausflugs mit prominenten Teilnehmern.
Gut 180 Jahre später machte sich das Team Öffentlichkeitsarbeit & Kommunikation des Landesmuseums, also Monika Schaar-Willomitzer und ich, auf den Weg, Spuren zu suchen, zu finden und einige Stationen fotografisch aufzunehmen. Die Fotografie hat sich zwischenzeitlich ganz gut entwickelt, das Aquarellbild ist hingegen etwas in den Hintergrund getreten. Was das Wetter betrifft, dürften die Wallfahrer einst mehr Glück gehabt haben, jedenfalls ist Kaiserwetter dargestellt. Wir mussten unsere Fahrt witterungsbedingt mehrmals verschieben. Der Sommer ist auch nicht mehr, das, was er einmal war.

Blick gegen Türnitz, Foto: M. Schaar

Das Danken ist des Pilgers Lust

Pilgerreisen hängen oftmals mit dem inneren Drang zusammen, Bitte oder Danke sagen zu wollen oder gar zu müssen. So war es auch im Fall des frommen Thronfolgers. Wir hingegen waren neugierig zu erfahren, was der Zahn der Zeit angerichtet oder übriggelassen hatte.
Der nachmalige Kaiser, den sie den Gütigen nannten, war im Jahr zuvor nach einem Schussattentat recht glimpflich davongekommen. Vermutlich wird’s ein blauer Fleck gewesen sein, der allerdings zu schwerer Krankheit führte, von der er schließlich wundersam genas. Also gelobte er, sich bei der Magna Mater Austriae zu bedanken. Man veranschlagte zwei Tagesreisen von der Spinnerin-am-Kreuz an der Triester (Reichs-)straße in Wien-Favoriten nach Mariazell im Steirischen mit einer Übernachtung in Wienerbruck. Gut 120 km in der sechsspännigen Kutsche, wir sind mit dem Auto herumgegurkt, haben aber nicht übernachtet.
Das Tiroler Landesmuseum „Ferdinandeum“ ist übrigens nach ihm benannt, aber das hat nichts mit der Wallfahrt zu tun.
 
Annaberg, Blick gegen den Ötscher © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833



aktuelle Ansicht von Annaberg, Foto: M. Schaar

Reisen, erfinden, regieren, abbrennen

Wir schreiben das Jahr 1833. Charles Darwin hält sich zu Forschungszwecken in Südamerika auf, Samuel Morse baut den ersten Telegrafen und in der Wiener Hofburg residiert Kaiser Franz I., sein Geschäftsführer als Staatskanzler ist Fürst Metternich. Polizeistaat, Zensur und Bespitzelung prägen die Zeit des Vormärz, die damals noch nicht so geheißen hat. Ihr verdanken wir subversive satirische Literatur und das große Zeitungsangebot in traditionellen Wiener Kaffeehäusern. Zeitungen konnte der Biedermeier-Untertan nur abonnieren, da war es unverdächtiger, sie bei Kaffee und Likör auswärts zu konsumieren. Bespitzelung ist uns heute aus dem weltweiten Web auch nicht ganz fremd.
Auch auf und abseits der Pilgerroute ging es heiß her. Nur fünf Jahre vor der „mahlerischen Reise“ wurde Mariazell ein Raub der Flammen, offensichtlich ging der Wiederaufbau aber zügiger vonstatten, als das heute der Fall wäre. Die letzte Restaurierung beanspruchte 15 Jahre. Eduard Gurk malte eine völlig intakte Basilika, innen wie außen frisch gestrichen. Einige Postmeilen abseits vom Weg brannten im Jahr 1833 Teile der landesfürstlichen Stadt St. Pölten nieder. Beim achtlosen Speckauslassen in einem Wirtshaus fing das Schmalz Feuer, das Ledererviertel ging in Flammen auf, Kreisamt und Bürgerspital verwandelten sich in Brandruinen.
Eduard Gurk starb übrigens 1841, erst 40jährig in Syrien, Kaiser Ferdinand ging 1848 in Pension.
Text: Gerhard Hintringer
Fotos: Monika Schaar-Willomitzer


Nach dem Serienstart werden hier in loser Folge während der Ausstellung ausgewählte Stationen vorgestellt und die Aquarelldarstellung von Gurk mit der fotografierten Situation von heute verglichen. 

Sonderausstellung „Malerische Wallfahrt nach Mariazell in Aquarellen von Eduard Gurk
(26.10.2014 bis 22.3.2015)

Eröffnung: Sa, 25. Oktober 2014, 16 Uhr

Asperl

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Mespilus Germanica

Mispel, Aschperl, Eschpal, Eschperl, Hundsärsch

Asperl im Museumsgarten, Foto: M. Schaar
Die allerletzte Ernte des Jahres steht im Obstgarten an, wenn die Mispeln bronze-glänzend auf den kahlen Ästen hängen, nachdem bereits die ersten Fröste den Winter angekündigt hatten.
Eigentlich schade, dass nur mehr wenige der sehr attraktiven Mispel-Gehölze heutzutage noch in den Gärten, wie etwa dem Landesmuseumsgarten, zu finden sind (nein, die Zweige, die zu Weihnachten dekorativ herumhängen und unter denen gerne geküsst wird, sind keine Mispeln, sondern Misteln).
Im Mittelalter,  da waren Mispeln beliebte Obstbäume in Kloster- und Bauerngärten, jetzt wissen nur mehr wenige Interessierte, was denn das für bizarren Früchte sind, die fallweise ab Ende Oktober auf Märkten angeboten werden und wie köstlich diese schmecken. Allerdings ohne  die ledrige behaarte Schale und erst, wenn sie bereits gefroren waren. Dann wird das Fruchtfleisch weich und angenehm süß-säuerlich. Man kann es einfach aus den goldbraunen Schalen zuzeln, oder aber zu Marmelade, Gelee, Likör und Schnaps verarbeiten. Oder zu Asperl-Käse. Oder wie Schlosserbuben backen. Früher wurden Mispeln gern anderen Fruchtaufstrichen beigemischt, weil die Marmelade dank des hohen Pektin-Gehalts der Asperl besonders gut gelierte.


Asperl als Volksmedizin

Mispeln schmecken aber nicht nur fein, sie sind auch sehr gesund. Seefahrer haben sie schon vor langer Zeit wegen ihres hohen Vitamin-C-Gehalts gegen Skorbut eingesetzt. Hildegard von Bingen empfahl den Verzehr von Asperln zur Blutreinigung, ihr hoher Gehalt an Gerbstoffen macht den Verzehr harntreibend und verdauungsfördernd.
Die entzündungshemmende Wirkung der Mispel wird auch heute noch genutzt, etwa bei Nieren und Harnwegsentzündungen oder Gastritis und Morbus Crohn.
Außerdem verlangsamt der Genuss von Asperln Verkalkungsprozesse und kann deshalb Arterienverkalkung vorbeugen.
Und die Volksmedizin weiß: Gurgeln mit einem Absud aus Mispel-Blättern hilft bei Mandelentzündungen und Entzündungen in der Mundhöhle.


Mispeln als Ziergewächs

Asperl, Foto: M. Schaar
Mispeln sind das ganze Jahr über attraktiv, auch für kleinere Gärten. Der Mispelbaum stammt ursprünglich aus Klein- und Mittelasien. Er gehört wie die meisten heimischen Obstarten zu den Rosengewächsen. Wilde Mispeln sind spärlich mit Dornen bewehrt, unsere kultivierten Gartensorten sind aber dornenlos, baum- oder strauchartig, bis zu sechs Meter hoch und lieben sonnige Plätze.
Mispelgehölze bilden große, breite Kronen mit prächtigem, grünem Laubwerk. Zwischen den zungenförmigen Blättern lugen im späten Frühjahr weiß-rosa Blüten hervor. Gegen Ende Oktober werden dann die exotisch anmutenden kelchförmigen Früchte reif. Sie ähneln rauschaligen Äpfeln, haben aber am unteren Ende eine Öffnung mit mindestens vier abstehenden Fasern. Asperln sind botanisch gesehen Scheinfrüchte, sogenannte Sammelnussfrüchte mit zwei bis fünf rötlichen Kernen. Die Früchte hängen über den Laubfall hinaus an den Triebenden. Ihre ledrige, behaarte Schale färbt sich gelb bis orange-braun. Die Mispeln sind zu diesem Zeitpunkt aber noch steinhart und schmecken wegen ihres hohen Gerbsäuregehalts sehr herb. Der Gerbstoff in der Rinde und in den Blättern ist übrigens so hoch, dass diese früher zum Gerben verwendet wurden.

Ein Tipp: Wer mit der Ernte der Asperl nicht warten will, bis die Temperaturen unter Null sinken, legt die Früchte für vier Stunden ins Tiefkühlfach – nach dem Auftauen sind sie weich, duften nach Most und können weiterverarbeitet werden.
Auch die heimische Tierwelt liebt Mispeln, etwa als Brutgehölz. Amsel, Ringeltaube und Kernbeißer mögen die Früchte. Wespen und Bienen umschwirren im Frühjahr die pollenreichen Blüten.

Mispel-Rezepte

Mispeln werden zu feinem Schnaps gebrannt, zu Marmeladen verkocht, aber auch zu
Asperlkäse
Die reifen, weichen Früchte ausdrücken, das Mus durch ein feines Sieb streichen. Für ein Kilo Fruchtbrei drei Viertel Kilo Zucker dazurühren, zu einem festen Brei kochen. In flache Gefäße füllen, erkalten lassen. Schmeckt als Naschwerk zwischendurch oder fruchtiges Beiwerk zu Wildgerichten.


Gebackene Mispeln
Entkernte, gehäutete Früchte mit einem Sud aus Weißwein, Zucker, Gewürznelken, Sternanis, Vanille, Zimt und Ingwer übergießen, zehn Minuten im Rohr dünsten, über Nacht im Sud erkalten lassen. Abtropfen, mit einer Mischung aus Mandeln, Nüssen, Pistazien und Marmelade füllen, Öffnung mit Marzipan verschließen. Bis zur Weiterverwendung einfrieren. Dann durch einen Weinteig ziehen und frittieren.


Text: Beate Steiner

Quellen: www.heckipedia.at
www.hortipendium.de
www.heilkraeuter.de

Das Objekt des Monats November ist das Asperl: http://www.landesmuseum.net/de/kulturvermittlung/individualbesucher/objekt-des-monats/Asperl

Die Mispel (Asperl) - ein altes, beinahe vergessenes Obst

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Asperl im Museumsgarten, Foto: M. Schaar

Die Mispel bildete viele Jahrhunderte lang einen selbstverständlichen Bestandteil in den heimischen Gärten. Heute kennt kaum noch jemand ihre wohlschmeckenden Früchte. Dabei ist die Mispel ein in vielerlei Hinsicht gewinnbringendes Gehölz. Ihr Erscheinungsbild – allem voran die formschönen Blätter und die ungewöhnlich großen Blüten – macht sie zu einer ausgesprochen attraktiven Zierpflanze. Und auch obstbaulich bietet die Mispel interessante Aspekte. Ihre markanten Früchte sind gesund und vielseitig verwendbar. Die Erträge setzen früh ein und sind reichlich.


Orientalische Schönheit in unseren Bauerngärten

Die Mispel trägt ihren wissenschaftlichen Artnamen Mespilus germanica zu Unrecht. Denn sie ist in Wahrheit kein „germanisches“ Gehölz. Woher der sommergrüne, kleine Baum ursprünglich kommt, ist nicht mit Sicherheit geklärt. Doch vermutlich stammt die Mispel aus Vorderasien, wo sie bereits vor rund 3.000 Jahren kultiviert wurde. Die Römer brachten sie nach West- und Mitteleuropa, wo die Mispel lange Zeit ein bedeutender Fruchtbaum in Kloster- und Bauerngärten war. Noch vor rund hundert Jahren waren die Früchte der Mispel in unseren Breiten ausgesprochen beliebt. In den letzten Jahrzehnten jedoch geriet die vielseitig verwendbare Pflanze mehr und mehr in Vergessenheit. So gilt die Mispel inzwischen als stark gefährdet und ihre Reliktvorkommen als besonders schützenswert. Mittlerweile erlebt das attraktive Gehölz glücklicher Weise eine (wenn auch stille) Renaissance: Mispeln finden vermehrt wieder Einzug in die heimischen Gärten und immer öfter werden die unverwechselbaren Früchte heute auch auf Märkten angeboten.


Hübsch und pflegeleicht

Mispeln sind recht anspruchslose Gehölze und dazu kaum anfällig gegenüber Krankheiten und Schädlingsbefall. Die kleinen Bäume oder Sträucher erreichen eine Wuchshöhe von maximal 6 Metern und eignen sich daher auch für kleinere Gärten bestens. Ihre ausladende Krone ist breit und besteht aus wenigen, kräftigen Ästen. Der Stamm wie auch die Äste neigen zur Krummwüchsigkeit. Und da Mispeln zu den am langsamsten wachsenden Obstgehölzen zählen, ist ihr Holz entsprechend hart. Während wilde Mispeln Dornen ausbilden, fehlen diese bei den Kultursorten. Die Rinde ist braun-rot, anfangs glatt und später tief rissig. Die länglich ovalen Blätter werden bis zu 15 cm lang und besitzen einen sehr kurzen Stiel. Sie sind an der Oberseite dunkelgrün, an der Unterseite etwas heller und filzig behaart. Im Herbst verfärben sie sich gelb bis gelb-orange. Besonders hübsch sind auch die auffallenden, sehr großen Blüten der Mispel, die Ende Mai bis Anfang Juni ausgebildet werden, und die einzeln (selten auch zu zweit) am Ende von Kurztrieben stehen. In ihrem Aussehen erinnern sie an Apfelblüten, denn genau wie der Apfel zählt auch die Mispel zur Familie der Rosengewächse. Allerdings werden die fünf rundlichen, weißen Kronblätter von langen, schmalen Kelchblättern überragt. Diese Kelchblätter bleiben bis zur Fruchtreife erhalten und verleihen den Früchten ihr, charakteristisches „bekröntes“ Erscheinungsbild.

Wohlschmeckende Winterfrucht

Asperl im Museumsgarten, Foto: M. Schaar
Die exotisch anmutenden, kugeligen Früchte der Mispel sind in Österreich eher unter dem Namen „Asperln“ bekannt. Sie ähneln kleinen Äpfeln mit einer rauen Schale. Typisch ist die Einkerbung an der Spitze (die sogenannte Kelchgrube), die von den fünf Kelchblättern gesäumt wird. Die Früchte sind zunächst gelblich grün und färben sich bei Reife bräunlich. Allerdings sind sie zu diesem Zeitpunkt – etwa Ende Oktober – noch steinhart und ausgesprochen schlechtschmeckend. Denn Mispeln sind die einzigen Früchte, die man bei uns erst im Winter genießen kann: Erst nach dem Einwirken der ersten Fröste wird das Fruchtfleisch der Mispel weich und teigig, und der hohe Gerbstoffgehalt nimmt ab. Die Früchte schmecken dann nicht mehr adstringierend, sondern angenehm säuerlich. Wer nicht auf den ersten Frost warten will, kann die Mispeln auch für einige Stunden ins Gefrierfach legen und dann wieder auftauen lassen!

Marmelade, Schnaps und Medizin

Objekt des Monats November
Foto: F. Röper
Die Früchte der Mispel kann man entweder roh verzehren (Vorsicht wegen der großen, harten Kerne!) oder verarbeiten. Ihr musartiges Fruchtfleisch eignet sich zum Beispiel zur Herstellung von Püree, Kompott oder Konfitüre. Besonderes in der Kombination mit Apfel, Hagebutte oder anderen Wildfrüchten entfalten Mispeln ihr typisches Aroma. Mispeln können außerdem zu Säften und Likören verarbeitet werden. Früher setzte man sie gerne dem Apfel- und Birnenmost zu, um dessen Haltbarkeit durch den hohen Gerbstoffgehalt der Mispel zu verbessern. Doch dienten die Früchte der Mispel lange Zeit nicht nur als Nahrungs-, sondern auch als Heilmittel. In der Volksheilkunde wurden sie gegen Entzündungen der Nieren und Harnwege eingesetzt, außerdem bei Magen- und Darmstörungen. Und tatsächlich sind Mispeln entzündungshemmend, harntreibend und enthalten viel Vitamin C. Hildegard von Bingen empfiehlt Mispeln Kranken wie Gesunden gleichermaßen, da sie den Muskelaufbau fördern und das Blut reinigen.

Text von der Biologin: Dr. Andrea Benedetter-Herramhof

Ein weiterer Text zum Asperl von Beate Steiner ist hier zu finden: http://landesmuseum.blogspot.co.at/2014/11/asperl.html

Das Objekt des Monats November ist das Asperl: http://www.landesmuseum.net/de/kulturvermittlung/individualbesucher/objekt-des-monats/Asperl

Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell

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Aus Sicht der Konservierung & Restaurierung


Ausstellungsansicht "Malerische Wallfahrt nach Mariazell
in Aquarellen von Eduard Gurk", Foto: G. Lechner
Titelgebendes Werk der Ausstellung ist das Mappenwerk „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell“ von Eduard Gurk. Es besteht aus 40 Aquarellen und einem Titelblatt im Format 32,5 cm x 42,5 cm.
Die jeweils dargestellte Landschaftsszene ist umrandet durch einen aquarellierten Rahmen. Unter jeder Abbildung befindet sich mittig der Titel und in der rechten unteren Ecke die Nummerierung.

Die Aquarelle sind auf Velinpapier, d.h. auf Papier mit ebenmäßiger Oberfläche und gleichmäßiger Durchsicht ohne Siebstruktur ausgeführt. Eine durch Rippen und Stege unruhig erscheinende Oberfläche wie die von Büttenpapieren hätte den Eindruck der feinen Aquarellmalerei gestört. Die Qualität der Blätter ist nicht gleichmäßig, was sich anhand der variierenden Farbtöne erkennen lässt. Die Qualitätsunterschiede sind teilweise durch die unterschiedliche Herkunft der Papiere erklärbar. Anhand von Wasserzeichen, die am Rand einiger Blätter erkennbar sind, konnten zwei bekannte Hersteller identifiziert werden: C & I HONIG, eine niederländische Papiermühle und J. WHATMAN-aus England. Die Werke wurden, vermutlich zur Verstärkung, auf ein weiteres Velinpapier aufkaschiert. Dieses Kaschierpapier scheint von minderer Qualität, was z.B. die Verbräunung dieses Papiers vermuten lässt. Bei einigen Aquarellen drücken sich Pinselspuren und Einschlüsse des Kaschiervorgangs durch. Fehlstellen in den Blättern 38 und 39 ermöglichen einen Blick auf den Klebstoff des Kaschierens – vermutlich handelt es sich dabei um Glutinleim, einen, aus Tierknochen hergestellten, Leim.

Mariazell © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833

Unter der Darstellung und Beschriftung sind Vorzeichnungen und Hilfslinien aus Graphit erkennbar. In den Ecken des Rahmens befinden sich Einstichlöcher von Konstruktionshilfen während des Malprozesses. Malmittel ist Aquarellfarbe, die lasierend bis deckend aufgetragen wurde. Die Palette ist umfangreich. Vereinzelt wurde Bleiweiß eingesetzt, um Weißhöhungen durchzuführen. Partiell wurde mit Firnis, vermutlich ein pflanzlicher Gummi oder Eiklar, zur Akzentuierung bestimmter Bereiche gearbeitet. Der Titel und die Nummerierung jedes Blattes sowie einzelne Elemente des Rahmens sind mit goldfarbener, kupferhaltiger Tusche ausgeführt.
Restauratorische Bearbeitung:
Die Blätter zeigten insgesamt wenige Schäden, so dass für die Ausstellung lediglich minimale restauratorische Eingriffe notwendig waren. Folgendes waren die Schäden und die durchgeführten Maßnahmen:
  • Die Blätter waren sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite teilweise verschmutzt, d.h. sie wiesen Staubablagerungen, Griffspuren und Flecken auf. Locker aufliegender Schmutz wurde mit speziellen, weichen und sehr schmutzaufnahmefähigen Reinigungsschwämmen aus vulkanisiertem Kautschuk und PU-Schaum trocken abgenommen. Bemalte und beschriftete Partien wurden dabei ausgelassen, um die Darstellung nicht zu gefährden. Hartnäckigere aufsitzende Verschmutzungen wurden mit einem etwas härteren Spezialradiergummi entfernt. Die Reinigungsschwämme und -radierer sind darauf getestet, dass sie die empfindliche Papieroberfläche nicht beschädigen und auch keine Rückstände hinterlassen, die negativen Einfluss auf das Kunstwerk haben könnten.
Reinigen © Konservierung & Restaurierung,
Landessammlung Niederösterreich
  • Da die Blätter im Laufe ihrer Geschichte bereits öfter gezeigt wurden, fanden sich auf der Rückseite zahlreiche alte Montagereste aus verschiedenen, meist minderwertigen Papieren und verschiedenen Klebstoffen. Da solche Montagereste zu Verfärbungen führen können und außerdem bereits Verformungen hervorgerufen hatten, wurden sie entfernt. Die Abnahme erfolgte mit Methylcellulose, einer modifizierten Stärke, die als Verdickungsmittel z.B. auch in Speiseeis oder Mayonnaise Anwendung findet. In der Papierrestaurierung wird Methylcellulose gerne als Kompresse in Form eines Gels genutzt. Wasserlösliche Klebstoffe können dadurch angeweicht werden, ohne dass das Objekt „nass“ gemacht werden muss. Durch direkten Wasserauftrag könnten z.B. Wasserränder und Verformungen entstehen. Das Methylcellulosegel wird mit dem Pinsel aufgetragen, weicht ein und – je nach Papier und Klebstoff – 5 bis 30 Minuten später können Klebstoff und Papier idealerweise rückstandsfrei entfernt werden.

  • Wenige der Gurk-Blätter wiesen kleinere Risse an den Blattkanten auf. Diese wurden mit Weizenstärkekleister und einem dünnen Japanpapier (11 g/m²) gesichert. Japanpapier wird aus den langen Fasern des Maulbeerbaumes hergestellt und ist dadurch auch mit geringer Grammatur extrem reißfest und stabil. Zum Vergleich: Schreibmaschinenpapier hat eine Grammatur von 80 g/m².
Protokollieren © Konservierung & Restaurierung,
Landessammlung Niederösterreich
Die an den einzelnen Blättern durchgeführten Maßnahmen und verwendeten Materialien wurden schriftlich in der Museumsdatenbank festgehalten, so dass sie zu einem späteren Zeitpunkt nachvollzogen werden können.
Nach der konservatorischen Bearbeitung wurden die Werke in Passepartouts montiert. Diese wurden aus Karton gefertigt, der nach DIN-ISO 9706 säure- und ligninfrei, mit alkalischer Reserve versehen und alterungsbeständig ist. Dadurch wird gewährleistet, dass keine schädigenden Substanzen aus dem Karton auswandern und die Aquarelle schädigen, z.B. Verfärbungen verursachen, könnten.
Anschließend  erfolgte das Protokollieren der Werke. Dies ist wichtig, um den Zustand der Werke vor dem Transport und der Ausstellung zu dokumentieren. Mit Hilfe eines Fotos werden Schäden kartiert, wie z.B. Flecken, Fingerabdrücke, Risse, Kratzer in der Oberfläche etc. Einstichlöcher in den Ecken zur Konstruktionshilfe der aquarellierten Rahmen werden nicht als Schaden protokolliert.
Die Rahmung erfolgte nach dem Protokollieren. Die Rahmen sind mit UV-Schutzglas versehen. Dadurch können UV-Strahlen, die durch ihre Kurzwelligkeit besonders schädlich für die Zellulose des Papiers sowie die Bindemittel und Pigmente bzw. Farbstoffe sind, weitestgehend herausgefiltert werden. Wie auch beim Passepartout wurde auch bei den Rahmen auf emissionsfreie (also möglichst schadstofffreie) Materialien geachtet. So besteht die Rückwand nicht wie meist üblich aus Hartfaserplatten (diese sondern das Papier schädigende Säuren ab), sondern aus inerten Aluminiumverbundplatten.

Rahmen © Konservierung & Restaurierung,
Landessammlung Niederösterreich

Transport und Aufbau:

Die gerahmten Aquarelle wurden vor dem Transport so verpackt, dass sie vor klimatischen Einflüssen und Schwankungen sowie auch weitestgehend gegen Stöße gesichert sind. Schutz vor klimatischen Einflüssen ist auch bei kurzen Transporten wichtig. Der Schutz wird durch die Verwendung von Kombinationen aus Luftpolsterfolie, Kunststoffplatten und Kartonagen bzw. durch die Verwendung von Klimakisten erreicht. Der Transport selbst erfolgt mit beheizbaren LKWs.
Nach ein paar Tagen Akklimatisierungszeit wurden die Werke ausgepackt. Die Wartezeit von mindestens 24 Stunden ist nötig, da es durch plötzliche Temperaturänderungen ansonsten z.B. zur Bildung von Kondenswasser im Rahmen kommen könnte.
Der Ausstellungsaufbau erfolgte mit der Unterstützung eines professionellen Aufbauteams, ebenso das Einleuchten. Die Lichtstärke beträgt maximal 50 Lux, ein international etablierter Wert für empfindliche Grafik wie Aquarelle. Durch Spots wird das Licht so auf die Werke gelenkt, dass sie trotz relativ geringer Helligkeit perfekt zur Geltung kommen (an einem nebligen Herbsttag beträgt die Lichtstärke mittags ca. 700 Lux).
Im Museum wurden die Werke erneut protokolliert, um Transportschäden ausschließen zu können. Außerdem wurden die tatsächlich jedes Werk erreichenden Werte der Lichtstärke notiert und in einer Art Tagebuch festgehalten. Somit liefern die Protokolle wertvolle Informationen für zukünftige Ausstellungen.


Ausstellungsansicht "Malerische Wallfahrt nach Mariazell
in Aquarellen von Eduard Gurk", Foto: G. Lechner

Ausstellungsansicht "Malerische Wallfahrt nach Mariazell
in Aquarellen von Eduard Gurk", Foto: G. Lechner


Text: Dipl.-Rest.(Univ.) Franziska Butze Rios

Das Team der Konservierung & Restaurierung
(Kunstsammlung der Landessammlungen Niederösterreich):
Dipl.-Rest. (Univ.) Franziska Butze-Rios, Restauratorin für Kunst auf Papier, Fotografie und Digitale Medien
Dipl.-Rest. (Univ.) Christina Schaaf-Fundneider, Restauratorin für Gemälde und Präventive Konservierung
Mag. Christa Scheiblauer, Restauratorin für Gemälde und Präventive Konservierung (derzeit in Karenz)
Martin Sellner, Art Handling und Facility Management
Huberta Trois, Restauratorin für Historische Rahmen und Art Handling
Mag. Eleonora Weixelbaumer, Restauratorin für dreidimensionale Objekte

ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH ST. PÖLTEN

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K.U.SCH. EINE THEMENPALETTE

bis 22/02/2015

Katalog K.U.SCH.
Sonntag, der 9. November 2014, stand ganz im Zeichen eines umfangreichen und gut besuchten Rahmenprogrammes zur aktuellen Ausstellung der Zeit Kunst Niederösterreich "K.U.SCH. Eine Themenpalette", die in der Shedhalle St. Pölten noch bis 22. Februar 2015 zu sehen ist.
Zunächst präsentierte Alexandra Schantl, die künstlerische Leiterin der Zeit Kunst Niederösterreich, die von ihr herausgegebene, reich bebilderte und im Kerber Verlag erschienene Monografie "K.U.SCH. Renate Krätschmer und Jörg Schwarzenberger", die mit 312 Seiten einen umfassenden Einblick in das vielfältige Schaffen des Künstlerpaares gewährt. Weitere Beiträge von Hartwig Knack, Wolfgang Müller-Funk, Christian Reder, Dieter Ronte, Peter Zawrel, Linda Christanell, Renald Deppe und Bodo Hell laden zur tiefergehenden Reflexion über die in der Ausstellung erörterten Themenkreise wie Bildmagie, Verschlüsselung und Entschlüsselung, Gesellschafts- und Konsumkritik ein. Mit seiner Behandlung von Kunst im öffentlichen Raum geht der Text von Katharina Blaas-Pratscher über das in der Ausstellung Gezeigte hinaus.

Ausstellungsansicht, Shedhalle, St. Pölten, 2014
© Bildrecht, Wien 2014. Foto: Christoph Fuchs

Auch wenn der im Dezember 2013 verstorbene Jörg Schwarzenberger die Realisierung der lange geplanten Ausstellung und Publikation nicht mehr miterleben konnte, so ist doch sein schöpferischer Geist in beidem spürbar, zumal sich Renate Krätschmer und ihr Mann dazu entschieden haben, ihr Leben in den Dienst eines gemeinsamen künstlerischen Werkes zu stellen und ab 1972 konsequenterweise nur noch unter dem Namen K.U.SCH. (für Krätschmer Und Schwarzenberger) aufzutreten, was einen revolutionären Anspruch darstellte. Anwesend in der Shedhalle St. Pölten waren Renate Krätschmer und Sito Schwarzenberger, der gemeinsame Sohn des 1943 geborenen Künstlerpaares, der sich K.U.SCH. im Jahr 2006 anschloss und mit Arbeiten aus dem Bereich Grafik-Design und Visuals in der Ausstellung vertreten ist, sowie der Dichter Bodo Hell und die Filmemacherin Linda Christanell, beides künstlerische Weggefährten von K.U.SCH.

K.U.SCH., Kugelbecken mit Wandbord, 1970,
Ausstellungsansicht, Shedhalle, St. Pölten, 2014
© Landessammlungen Niederösterreich.
Bildrecht, Wien 2014. Foto: Christoph Fuchs
Im anschließenden Ausstellungsrundgang spannte Alexandra Schantl im Dialog mit Hartwig Knack, dem Kurator der Schau, den Bogen von den Anfängen von K.U.SCH. in der geometrischen Abstraktion der späten 60er- und frühen 70er Jahre über spielerische Objekte wie das Kugelbecken mit Wandbord hin zu einem höhenverstellbaren Altartisch für die Studentenhauskapelle in Graz. In diesem Zusammenhang betonte Hartwig Knack die Affinität von K.U.SCH. zum Gesamtkunstwerk, zur gegenseitigen Durchdringung und schließlich Verschmelzung von Kunst und Leben. Dies schlägt sich auch in der Biografie von K.U.SCH. nieder, die das Jahrzehnt von 1978 bis 1988 auf dem Strohhof in Kirnberg bei Melk verbrachten, wo sie die Idee eines naturnahen Lebens verwirklichen wollten. Ein Jahr zuvor gründeten sie den "Zirkus der Kurpfuscher", ein experimentelles Forum für Performances, das sie 1988 zum Prozessionstheater weiterentwickelten. In diesem Prozessionstheater gibt es "Manns- und Weibsschilde", denn K.U.SCH. übertragen Geschlechtlichkeit auch auf die Dingwelt, wie sie mit ihrer 1980 entworfenen "Busenbürste" zeigen. Das Automobil ist Symbol männlicher Potenz und zugleich Fetisch einer Konsumgesellschaft, die kriegerische Elemente in sich trägt, was im "Konsumkampfwagen" von 1999 deutlich wird. Dieser Einkaufswagen wird durch eine Sense, die auf ihm montiert ist, zum Kampfmobil.

Ausstellungsansicht, Shedhalle, St. Pölten, 2014
© Bildrecht, Wien 2014. Foto: Christoph Fuchs
Als Abschluss des Rahmenprogrammes wurde im Museumskino des Landesmuseums eine Auswahl von experimentellen 8-mm-Filmen von K.U.SCH. gezeigt. Der erste Film aus den Jahren 1968 bis 1971 mit dem Titel "R10" ist ein so genannter Materialfilm, bei dem auf Blankfilm bunt gemalt und Schwarzfilm ausgekratzt wird und sich somit das visuelle Material zu einer abstrakten Komposition verwebt. Schmutz, Kratzer und Klebestellen, die sonst retuschiert werden, bleiben hier sichtbar. Der zweite Film aus dem Jahr 1974 trägt den Titel "Rom - ein Tanzboden" und nimmt auf eine Installation im Österreichischen Kulturforum in Rom Bezug, bei der knapp über dem Boden dünne Drähte mit Fähnchen und Glöckchen daran montiert werden und der Rhythmus der sich darauf bewegenden Menschen festgehalten wird. Der Takt ihrer Bewegungen überträgt sich auf die ganze Stadt Rom und ihre Bewohner, insbesondere die Uniformierten wie Polizisten, Schweizergardisten, Priester und Nonnen. Im Zeitraffer erscheinen all ihre Schritte wie ein Tanz. Diese beiden Filme sind auch in der Ausstellung zu sehen. Der dritte Film mit dem Titel "Berührungen / Szenen zur Bezüglichkeit der Berührung / signalsprachliche assoziationen" aus den Jahren 1974/75 entstand gemeinsam mit Linda Christanell. In diesem Film werden Alltagsdinge mit Kunstobjekten in Verbindung gebracht und so die unterschiedlichsten Formen sinnlicher Berührungen spürbar gemacht.
Ausstellungsansicht, Shedhalle, St. Pölten, 2014
© Bildrecht, Wien 2014. Foto: Christoph Fuchs
Von der zeitlosen Aktualität der mit feiner Ironie behandelten Fragestellungen, die K.U.SCH. in ihrer Themenpalette vorbringen, kann sich der Besucher sowohl in der Ausstellung als auch durch die Monografie und das filmische Schaffen dieses außergewöhnlichen Künstlerpaares überzeugen.

Text: MMag. Ursula Düriegl

Ausstellungsort: Landesmuseum Niederösterreich, Shedhalle, Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten, Öffnungszeiten: Di.- So. 9.00 – 17.00 Uhr, http://www.zeitkunstnoe.at/de/st.-poelten/ausstellungen/k.u.sch

Bader, Medicus, Primar #1

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Im Rahmen der Geschichte-Sonderausstellung "Bader, Medicus, Primar - Gesundheitswesen in Niederösterreich" (http://www.landesmuseum.net/de/ausstellungen/sonderausstellungen/bader-medicus-primar) stellen wir wöchentlich einen interessanten Beitrag zum Thema vor. 


#1 Wie das Einhorn in die Apotheke kam


In Deutschland gibt es mehr als 100 Apotheken, die das magische Tier Einhorn im Namen führen. In barocken Klosterapotheken recken sie stolz ihre gedrehten Hörner in die Luft. Aber wer sind diese Tiere und warum finden sie sich in Apotheken?
 

Das Einhorn als geheimnisvolles Geschöpf  beschäftigt seit Jahrtausenden Geist und Gemüt des Menschen. Persische Künstler schufen schon im 2. Jahrtausend vor Christi kleine Skulpturen dieses Wesens. Ihr Körper ähnelt dem der Gazellen, aus ihrer Stirn sprießt ein gebogenes, geriffeltes Horn, vergleichbar dem eines Steinbocks. Siegel der Indus-Kultur zwischen 2300 und 1750 vor Christi zeigen einhornartige Tiere. Aus den Gebirgen Indiens kam die Mär vom Einhorn über die Texte der Bibel, über die Dichtungen und Schriften der Griechen und Römer, über dem nahen Orient nach Europa.
 

Einhorn © thinkstock, Marina Yakutsenya
Das Einhorn ist ein scheues und wildes Tier. Die Beschreibungen seiner Gestalt in den Quellen variieren: Bald ist das Tier groß wie ein Berg, bald klein und zierlich, dass es einer Dame als Schoßhündchen dienen konnte. Ähnlich vielfältig wie seine Gestalt ist auch seine Bedeutung, die ihm durch das Christentum zugeschrieben wird: Mal steht das Einhorn für das Böse, den Tod und den Teufel; bald steht das Fabeltier für Christus selbst,  für dessen Demut. Das Einhorn steht nicht nur für Keuschheit; genauso kann es Sinnbild der hemmungslosen Wollust sein. Daher diente sein pulverisiertes Horn auch als Aphrodisiakum.
Die erste frühchristliche Naturkunde, der „Physiologus“, beschreibt das Einhorn als „kleines Lebewesen, wie ein Böckchen, aber ganz außerordentlich leidenschaftlich.“ Es lässt sich nur durch eine Methode fangen: „Eine reine Jungfrau, fein herausgeputzt, werfen sie [die Jäger] vor es hin, und es springt in ihren Schoß; und die Jungfrau säugt das Lebewesen und bringt es in den Palast zum König.“

Ktesias von Knidos, der griechische Arzt und Megasthenes, der griechische Diplomat, berichteten bereits von der Heilkraft des Horns des Einhorns; Es vertreibe Gifte und heile Krankheiten. Später erzählte der Physiologos über dessen wundersame Wirkung: Kommt das Einhorn zu einer vergifteten Quelle, dann bewegt es sein Horn in Kreuzesform über das Wasser und schon wird die Quelle trinkbar.

Ausstellungseinblick "Bader, Medicus, Primar"
Foto: H. Lackinger, Einhornkopf mit Narwalzahn,
Zwettl 17. Jh. (Stift Zwettl, Stiftsammlung)
Auch Hildegard von Bingen (1098-1179), die große mittelalterliche Gelehrte, nutzte in ihren Rezepten die Heilkraft des Einhorns; allerdings verwendete sie dessen Leber und mischte daraus eine Salbe, die Aussatz heilen sollte. Einen Gürtel aus Einhornleder empfahl sie zur Abwehr von Krankheiten. Den Huf des Einhorns pries sie als Mittel, um mögliches Gift in Speisen und Getränken anzuzeigen: „Sind Speise und Trank vergiftet und sind sie warm, so lässt der Huf sie in dem Gefäß wallen, sind sie kalt, so lässt er sie dampfen. So kann man erkennen, dass sie vergiftet sind.“
Die ersten Hörner dieses geheimnisvollen Tieres kamen zu Beginn des 13. Jahrhunderts über die Handelsrouten aus dem Osten nun tatsächlich nach Europa. Es wurde durch Jahrhunderte zu einem kostbaren Gut, dessen Besitz Fürsten und Reichen vorbehalten blieb. Vorsichtig kratzte man von den gedrehten Hörnern Substanz ab, und mischte dieses Pulver in Salben, Pillen oder Heiltränke. Es sollte bei Vergiftungen helfen, bei Fieber, Pest oder Kinderkrankheiten. Aus Einhorn gefertigte Becher oder Besteck mit Einhorngriffen sollten den Benutzer vor Vergiftung bewahren. 


Ein-Pfund-Münze mit Einhorn rechts,
© thinkstock, Ken Drysdale

In den Inventaren der Reichen und Mächtigen wurden Einhörner und deren Wert vermerkt: 10.000 Pfund war ein solches wert, das 1558 im Inventar der englischen Königin Elizabeth I. verzeichnet wurde. Vier solcher kostbarer Stücke befanden sich im Besitz der Bayreuther Hohenzollern. In Dresden bewahrte man eines im Wert von 100.000 Talern auf. Wurde zu medizinischen Zwecken Pulver abgeschabt oder gar ein Ring davon abgeschnitten, musste immer ein Beauftragter des Fürsten die Aktion überwachen. Selbst Martin Luther nahm auf dem Totenbett noch ein Getränk aus Wein mit Pulver vom Einhorn vermischt als Arznei zu sich. Der hohe Preis und die große Nachfrage riefen natürlich auch die Fälscher auf den Plan, die Kiesel und Kalk fein pulverisierten, mit Seife mischten und als „Einhorn“ verkauften. Auch ein solcher Brei oder Teig begann zu schäumen, kam er mit Flüssigkeit in Berührung.


Ausstellungseinblick "Bader, Medicus, Primar" Foto: F. Röper
Einhornkopf mit Narwalzahn, Zwettl 17. Jh. (Stift Zwettl, Stiftsammlung)
Im 16. Jahrhundert gelangten die Einhörner in die städtischen Apotheken: So führte etwa der Freiburger Arzt und Apotheker Dr. Joachim Schiller das Einhorn in seinem Wappen und ließ es als Relief auf seinem Haus anbringen. Abraham a Santa Clara erwähnte in seinen Predigten eine Apotheke „Zum weißen Einhorn“. Hörner wurden auf Pferdeköpfe montiert und in städtischen oder klösterlichen Apotheken stolz präsentiert.
Narwal © thinkstock, Andreas Meyer
Die Existenz der Einhörner wurde aber nicht von allen als gegeben hingenommen. Nach frühen Zweiflern im Mittelalter nahm die Zahl derer im 16. Jahrhundert weiter zu. Der Streit wurde schriftlich und mündlich von den Kathedern der Hochschulen ausgetragen. Durch den vermehrten Handel mit Grönland und Spitzbergen im 17. Jahrhundert kamen die wunderlich geformten Hörner in immer größerer Zahl nach Europa, stammten sie doch vom Narwal, der im gesamten arktischen Ozean verbreitet war und dessen Stoßzähne an die Küsten der angrenzenden Ländern gespült wurden.
 

Verwendete Literatur: Rüdiger Robert Beer, Einhorn. Fabelwelt und Wirklichkeit, München 1972.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

# 2 Wie die Zunft der Bader entstand

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Der Bader, Holzschnitt aus
"Eygentliche Beschreibung
aller Stände auff Erden hoher
und nidriger, geistlicher und
weltlicher, aller Künsten, Hand-
werken und Händeln... (Ständebuch,
mit Versen von Hans Sachs,
1568), Holzschnitt von Jost Amman
(1539 Zürich - 1591 Nürnberg)
Seit dem Spätmittelalter finden wir in Schriftquellen Nachrichten über Badstuben in Niederösterreich: Für 1285 wird eine in Klosterneuburg erwähnt, 1286 in St. Pölten, 1296 in Hainfeld und so fort. Die Badstuben waren meist im Besitz der Grundherren und wurden in Pacht vergeben. Haben sich solche Pachtverträge erhalten, so informieren sie uns häufig nicht nur über die Höhe der abzuliefernden Pacht, sondern erzählen uns auch von den Arbeiten des Baders.

Am 8. September 1470 schloss etwa der Abt des Stiftes Göttweig einen solchen Pachtvertrag mit dem Stiftsbader Hermann Sachs ab. Auf acht Jahre durfte dieser die Badstube in Furth übernehmen. Als Gegenleistung musste er im Konvent alle Arbeiten verrichten, die in das Arbeitsfeld eines Baders gehörten: Rasieren, Zurichten der Bäder und alles, „was sonst in seinem Handbereich fällt“. Schon damals gehörten dazu Aderlassen und Schröpfen, Behandlung von Wunden oder Verabreichen von Salben. Dafür erhielt er einen Jahressold von 5 Pfund Denare.
Dass der Vorgänger nicht gerade zu den Pflichteifrigsten gehörte, zeigt der in der Urkunde beschriebene Zustand der Badstube: Denn Hermann Sachs musste sich auch dazu verpflichten, die Badstube auf seine Kosten neu eindecken zu lassen. Er hatte die Zimmerleute zu verköstigen und die Nägel zu kaufen. Das Stift als Eigentümer sorgte für die Entlohnung der Handwerker und das nötige Holz. 
Im 16. Jahrhundert nahmen die Steuern, die auf den Grundbesitzern lasteten, als Folge der Türkeneinfälle immer mehr zu, und so mancher Grundherr sah sich gezwungen, die Badstube an die Gemeinde oder gleich direkt an den Bader zu verkaufen. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts waren nahezu alle Badstuben in den Besitz der Bader übergegangen. In den Städten konnten sie nun das Bürgerrecht erwerben. Hand in Hand damit eröffnete sich ihnen die Möglichkeit, Zünfte zu bilden und sich so gegen ein Überangebot vor Ort zu schützen. Das Badergewerbe durfte nun nur mehr derjenige ausüben, der im Besitz eines Baderhauses mit Badstube war.

Zunftlade der Bader, vor 1777
Mistelbach, Stadt-Museumsarchiv
Wie bei den anderen Gewerben auch unterlagen die in Städten ansässigen Bader Zunftordnungen, die von der Obrigkeit erlassen und vom Landesherrn bestätigt werden mussten. Die älteste niederösterreichische Ordnung solcher Art hat sich als Abschrift im Stadtbuch von Wiener Neustadt erhalten. Sie wurde am 22. Jänner 1476 unterzeichnet. Die rund 25 Paragraphen umfassen in erster Linie Vorschriften, die den Lebenswandel betrafen. Wer diese Richtlinien übertrat, musste Bußgelder an die Zunftlade abliefern. Bemerkenswert ist, dass in dieser Ordnung ausdrücklich auch Frauen in ihrer Funktion als „Baderinnen“ und als „Dienerinnen“ in den Badstuben Erwähnung finden.
Ganz den Zeitgeist der Gegenreformation spiegelt die für Krems und Stein erlassene neue Baderordnung, die am 9. März 1633 von Kaiser Ferdinand II. unterzeichnet wurde. Die ersten Paragraphen befassen sich mit dem religiösen Leben der Zunftangehörigen und regeln die Teilnahme an der Messfeier. Die nächsten Abschnitte enthalten allgemeine Strafbestimmungen für die Zunftmitglieder und eine detaillierte Regelung der Ausbildung vom Lehrling bis zum Meister.

Aderlassschnepper
Retz, Museum im Bürgerspital
Das für Krems erhaltene Register der Baderzunft aus dem Jahr 1667 dokumentiert den weiten Geltungsbereich. Die Kremser Hauptlade war für das Viertel ober dem Manhartsberg (= Waldviertel) zuständig und umfasste zu dieser Zeit insgesamt 96 Ortschaften. Rechnet man zu den Meistern die in den Badstuben tätigen Gesellen sowie die nicht in der Zunft Inkorporierten hinzu, so kommt man immerhin auf etwa 150 Bader bzw. Wundärzte, die die Bevölkerung in der Region medizinisch betreuten. Die Kremser Hauptlade errichtete sog. Viertelladen in Horn, Waidhofen an der Thaya, Weiten und Zwettl. Im Viertel unter dem Manhartsberg (= Weinviertel) gab es sogar zwei Hauptladen, eine in Mistelbach und die andere in Ober-Hollabrunn. 1626 erhielt die Baderzunft in St. Pölten als Sitz der Hauptlade für das Viertel ober dem Wienerwald (= etwa das heutige Mostviertel) ihre Ordnung bestätigt. Für das Viertel unter dem  Wienerwald (= etwa das heutige Industrieviertel) ist zwar keine Baderordnung aus dieser Zeit erhalten; man kann aber wohl annehmen, dass der Sitz der Hauptlade in Wiener Neustadt war. 

Die Reformen Maria Theresias im Gesundheitswesen brachten auch Neuerungen für die Bader: 1746 wurden diese verpflichtet, sich nach ihrer Gesellenzeit an der Medizinischen Fakultät in Wien prüfen zu lassen. Ferner wurde ihnen verboten, Wein über die Gasse auszuschenken und Medikamente zu verkaufen. Man sieht daraus, dass sich das Verhältnis der „Gesundheitsberufen“ zueinander nicht immer reibungslos gestaltete. Bader lagen mit Apothekern im Streit, diese mit akademisch ausgebildeten Ärzten, welche wiederum mit Chirurgen und Wundärzten zankten – aber davon ein anderes Mal.
1773 wurde schließlich der Titel „Bader“ abgeschafft. Damit erlosch die Berufsbezeichnung für ein jahrhundertealtes Gewerbe, dem Hans Sachs 1568 folgende Verse gewidmet hatte:

„Wolher ins Bad Reich unde Arm
Das ist jetzund geheitzet warm
Mit wolschmacker Laug man euch wescht
Denn auff die Oberbanck euch setzt
Erschwitzt, denn werdt Ihr zwagn und gribn
Mit Lassn das ubrig Blut außtriebn
Denn mit dem Wannenbad erfreut
Darnach geschorn und abgefleht.“

In der kommenden Woche blättern wir im Rezeptbuch eines Baders in Mistelbach.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

# 3 Pflaster, Salben, Ratafia …

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In der Ausstellung zeigen wir u. a. auch das Rezeptbuch eines Baders oder Apothekers, das sich heute im Besitz der Landschaftsapotheke in Mistelbach befindet.
Auf dem ersten Blatt steht in schönster Schrift geschrieben:
 
„Sammlung verschiedener nützlicher Recepten“
und darunter die Jahreszahl „1645“.
 

Angenehm bei diesem Rezeptbuch ist die gut leserliche Schrift des Verfassers, oder war es vielleicht sogar eine Frau, die die Rezepte niedergeschrieben hat? Man könnte fast vermuten, dass es sich um eine „Reinschrift“ handelt, also eine Abschrift älterer Rezepte. Die einzelnen Seiten lassen auch keinen Unterschied in der Schrift erkennen. 
Auf den folgenden 154 Seiten stehen in bunter Mischung die unterschiedlichsten Rezepte für die verschiedensten Anwendungsgebiete. Da gibt es Rezepturen bei Frauenbeschwerden, zur Linderung des Hustens und natürlich auch zur Eindämmung von Fieberanfällen.
 

Mistelbacher Rezeptsammlung
Weichsel-Likör, Foto: thinkstock,
Soyhan Erim
Eine wichtige Aufgabe eines Apothekers in der Vergangenheit war auch die Zubereitung von Destillaten und Likören.
Eine dieser Likörsorten war der Ratafia:
Wie es zu diesem Namen kam, erklärt man in einem der heute noch wichtigen Produktionsgebiete in den Abruzzen so: Anlässlich von Abkommen oder Verträgen, die man schloss, stieß man nach der Unterzeichnung mit Likör auf das gelungene Geschäft an und sprach dabei: „Pax rata fiat“
(freie Übersetzung: "Der Friede sei bestätigt". Die heutigen Produkte, die unter dem Namen „Ratafia“ verkauft werden, sind vollmundige süßliche Liköre mit einem Alkoholgehalt unter 22 Volumprozent. In den Abruzzen wird er heute aus Amarena-Kirschen, Waldfrüchte, Montepulciano Rotwein, Zucker und natürlichen Aromen hergestellt. Die Zusammensetzung zählt zu den bestgehüteten Familiengeheimnissen.
 


In Katalonien wird er aus grünen Walnüssen und Kräutern hergestellt, die 40 Tage in einem Anisschnaps angesetzt werden. In Burgund und der Champagne wird der aus Traubenmost und Weinbrand hergestellt.
 

Weichselblüten, Foto: thinkstock, Anatolii Boida
Das im Mistelbacher Rezeptbuch enthaltene Rezept für Ratafia verwendet ebenfalls Weichseln:
Erstlich nim Weixeln, welche fein sauber von denen Stengeln gezupft seyn müßen, in eine große gläserne Flasche, die einen weiten Hals hat, und thue selbe nicht gar völlig anfüllen mit dem Weixeln, darnach nimt man geschälte bittere Mandeln 8 oder 12 Stück, nachdem die Flasche groß ist, und wirft dieselben gantz hinein, alsdann giese man den Kirschengeist darauf, doch nicht ganz voll, daß man alle Tage die Flaschen umschütteln kann, und muß also 4 Wochen an einen kühlen Ort aufbehalten werden, hernach nimt man einen feinen ausgeleiterten Zuker, und gießt denselben in eine Flasche, darnach man es süß haben will, den Ratafia gießt man durch einen Trüchter der mit Löchern ist, darauf. NB. Den wenn man den Zucker in den Ratafia will giesen, so bleibt er trüb, die Weixeln thut man hernach in ein Einmachglas, allzeit ein paar Lagen, darzwischen, aber einen fein gestosenen Zuker darauf gestreuet, und so viel Lagen bis das Glas voll ist, hernach gieß man einen Kirschengeist darauf, daß er über die Weixeln geht, alsdann kann man es also stehen lassen 2 auch 3 Jahre, so bleiben sie gut, sie müßen aber allzeit an einen kühlen Orte stehen. Wann man diese Weixeln will auf die Schale geben, so muß man dieselben aus den Kirschengeist herausnehmen, und gieß ein wenig geleiterten Zuker darauf, sonsten sind sie gar zu stark, den übrigen Kirschengeist kann man unter Ratafia auch wiederum untermischen.
Bis zum nächsten Mal.
 

Text: Elisabeth Vavra


Ratafia, der, Ital. und Franz. Ratafia, eine Art eines mit allerhand Früchten, Gewürzen etc. abgezogenen Branntweins.
 

Die Anweisung zur Verfertigung dieser Art Liqueure ist im Art.  Liqueur, Th. 79,  S. 516 fl. nachzusehen. Weiterhin sind daselbst mehrere Recepte zu den besonderen Arten gegeben worden, nahmentlich zum Angelik=Ratafia,  S. 540; Anis=Ratafia,  S. 541; Cassis=Ratafia,  548; Cedra=Ratafia,  550; Francpineau=Ratafia,  556; Granat=Ratafia,  562; Himbeer=Ratafia, Th. 23,  S. 544; Kernwasser=Ratafia,  566; Muskat=Ratafia,  571; Nelken=Ratafia,  571; Nuß=Ratafia,  572  581; Pflaumen=Ratafia,  582; Pommeranzenblüth=Ratafia,  575; Pommeranzen=Ratafia,  578; Quitten=Ratafia,  579; Ratafia, mehrere gemeine Arten,  579 -- 81; Samen=Ratafia,  583,  590; Wachholder=Ratafia,  595

#4 „Zu was Kranckheiten die distillirten Wasser dienen …“

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Diese Überschrift steht nicht im einem Nachschlagewerk, das für einen Mediziner oder einen Apotheker bestimmt war, nein - es steht in dem klassischen Werk der sog. Hausväterliteratur: in der „Georgica curiosa“ des Wolf Helmhardt von Hohberg.

IMAREAL - Krems: In einer landadeligen Apotheke.
Kupferstich aus der "Georgica Curiosa", Nürnberg 1716
Bei dieser „Hausväterliteratur“ handelt es sich um frühe Ratgeber, die ab dem 16. Jahrhundert zunächst vor allem im protestantischen Milieu erschienen. Sie richteten sich an den Landadel als  potentiellen Käufer. Da ihr Inhalt aber von allgemeinem Interesse war, erwarben auch zunehmend bürgerliche Kreise diese Werke.
Den Höhepunkt dieser Gattung bildet das zitierte zweibändige Werk aus der Feder Wolf Helmhardt von Hohberg, das unter dem Titel „Georgica curiosa, Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben“ erstmals 1682 in Nürnberg erschien.   
Wolf Helmhardt von Hohberg wurde am 20. Oktober 1612 in Lengenfeld bei Krems geboren. Früh verwaist trat er ins Heer ein und kämpfte im Dreißigjährigen Krieg. 1641 quittierte er den Dienst in einem kaiserlichen Regiment und zog sich auf ein kleines Gut in Süßenbach an der Thaya zurück. Als Protestant musste er später seine Heimat verlassen und ließ sich wie viele seiner Glaubensgenossen in Regensburg nieder, wo er 1688 verstarb.

IMAREAL - Krems: Die Hausmutter beim Zubereiten
von Arzneien. Kupferstich aus der "Georgica Curiosa",
Nürnberg 1716
Der erste Band des Werkes beschäftigt sich mit Haus und Garten, der zweite mit Feld, Vieh, Wald und Jagd. Die insgesamt 12 „Bücher“ geben einen ausführlichen Einblick in Organisation und Tätigkeitsbereiche der auf einem solchen Gut tätigen Personen.
Zu der Arbeit der „Hausmutter“ gehörten nicht nur die Versorgung der Hausangehörigen mit ausreichend Nahrung, die Vorratshaltung, die Betreuung des Gartens und vieles andere mehr, sondern auch die Betreuung im Krankheitsfall. In mehr als 20 Kapitel gibt Hohberg der Hausmutter Anweisungen, wie sie die Apotheke zu führen und Arzneien zuzubereiten hätte.
Dazu gehörte auch die Herstellung von Destillaten aus den unterschiedlichsten Ausgangsprodukten. In Kapitel LVII beschrieb Hohberg ausführlich die Arbeitsgänge und die Beschaffenheit des „Brennofens“, allerdings genüge es, „wann die Haus=Mutter nur weiß mit dem Brennkolben und Balneo Maris [=Wasserbad] umzugehen.“

IMAREAL - Krems: Das Destillieren von Kräutern
Kupferstich aus der "Georgica Curiosa", Nürnberg 1716
Das Anwendungsgebiet dieser destillierten Wasser, die aus Kräutern gewonnen werden, ist äußerst vielfältig; Hohberg führt 28 Verwendungszwecke an: bei Kopfschmerzen etwa Destillate aus Wohlgemuth (Origanum vulgare) oder Holunder; bei Leberbeschwerden Sauerampfer, Ehrenpreis, Wegwarte, Salbei, Brunnenkresse, Leberkraut und Waldmeister; für die Augen gut sind „Wasser“ von Ringelblumen, Augentrost, Schellkraut, Rittersporn, Fenchel, Blaue Kornblume und blaue Veilchen; gegen Blasen- und Nierensteine empfiehlt er u.a. Spitzwegerich, Petersilie, Rettich, Spargel, Steinbrech, Erdbeeren und Gundelreben (Glechoma hederacea). Ein Allheilmittel ist das Kardobenediktenkraut, das u.a. bei Magenproblemen, Gelbsucht, Seitenstechen, Menstruationsbeschwerden oder Vergiftungen empfohlen wird. Ähnlich vielseitig ist auch der Baldrian.

IMAREAL - Krems: Die Hausmutter als Krankenpflegerin
Kupferstich aus der "Georgica Curiosa", Nürnberg 1716
Im ersten Band der „Georgica curiosa“ gibt es auch Anleitungen zur Herstellung von „Krafft=Wasser“, für die unterschiedliche Substanzen in Destillaten und/oder Wein angesetzt werden. Für das „Hertz=Carfunckel=Wasser“ etwa muss man Rosmarin, Maienblümlein, Borrago-Blüten, Märzveilchen, Majoran, Lavendel, Kreuzsalbei und Saudistel in einem bestimmten Mischungsverhältnis fein hacken und im Mörser zerreiben. Dann werden Gewürze und Früchte - Muskat, Ingwer, Gewürznelken, Zimt, Kardamom, Galgant, Wacholderbeeren, Eichen- und Haselmisteln, geschälte Päonienkörner - mit Hirschhorn, Ungarischem Gold, Perlen und dgl. mehr gemischt, fein verrieben und mit Wein zu einer Paste verrührt, aus der man kleine Küglein formt. Dann legt man die Kräuter und die Küglein in einem Krug und gießt darüber Malvasier - in der Neuzeit besonders bekannt und beliebt - und verschiedene Destillate, etwa Erdbeer=Wasser und Rosen=Wasser. Dann wird der Krug verschlossen und im Keller in Sand eingegraben; ein Monat ruht er nun - von Neumond bis zum nächsten Neumond. Dann wird die Brühe abgeseiht, die noch nicht aufgelösten Substanzen fein zerstoßen und mit der  Flüssigkeit vermischt. Die so gewonnene Lösung wird nun gebrannt. Das Destillat ist das „Carfunckel=Wasser“, das bei schwerer Krankheit zur Stärkung verabreicht wird. Die Dosis richtet sich nach der Schwere der Krankheit und dem Alter des Patienten: ein alter Mensch erhält zwei Löffel voll, ein junger nur einen Löffel. Es dient zur allgemeinen Stärkung und soll bei Fraisen, Schlaganfällen, Ohnmachten, Kopfschmerzen und Herzbeschwerden aller Art helfen. Auch Gebärenden und schwachen Säuglingen gibt es Kraft.
Foto: F. Röper


Falls Sie selbst in der „Georgica curiosa“ blättern wollen, ein Digitalisat finden Sie unter http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/titleinfo/363108 auf der Homepage der Universitätsbibliothek in Halle.

Den nächsten Blog können Sie im Neuen Jahr - am 8. Jänner 2015 - lesen. Bis dahin geruhsame Feiertage, in denen Sie hoffentlich weder Arzneien oder Kräuter brauchen, wünschen Ihnen die Autorin und das Team des Landesmuseums Niederösterreich.

Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Pilgern mit Eduard Gurk - Die heiligen Berge: Annaberg

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Zum Einstieg wird dieser Beitrag empfohlen: http://landesmuseum.blogspot.co.at/2014/10/pilgern-mit-eduard-gurk.html

Es ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, sich in den Gemütszustand eines Untertanen des Jahres 1833 zu versetzen. Einen Versuch ist es aber wert. Unseren fiktiven Pilger nennen wir einfach Chrysostomos Panigl, wohnhaft in der Gemeinde Rodaun nahe Wien. Eine recht flache Gegend, gemessen an dem, was noch kommen wird. Die höchste Erhebung Rodauns ist der Eichkogel, ein sanfter Hügel.
Der Thronfolger Erherzog Ferdinand hatte im Vorjahr ein Attentat zwar fast unbeschadet überlebt, seine Nerven waren darauf derart zerrüttet, dass ein Priester zur letzten Ölung geholt werden musste. Er genas auf wundersame Weise, gelobte eine Wallfahrt nach Mariazell und fuhr los. Ob er den Maler Eduard Gurk an seiner Seite hatte, das wissen wir nicht gesichert. Wir, Monika Schaar-Willomitzer und ich, machten uns etwa 180 Jahre später auf Spurensuche.

Einsiedelei Siebenbründl © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833

aktuelle Ansicht von Siebenbründl, Foto: M. Schaar

Unser Chrysostomos erhoffte sich durch Wallfahrten die Heilung von seiner Gicht. Den Medicus und Arznei aus der Apotheke konnte er sich als Rossknecht nicht leisten. Es wird eine weite Reise werden. Seine weiteste war bisher nach Mauer zum Kirtag.
Ferdinand, als späterer Kaiser der Gütige genannt, reiste per Kutsche, Chrysostomos auf Schusters Rappen, wir fuhren mit dem Auto.


Wir überspringen einen Tag und begegnen unserem Pilger gegen Ende des zweiten Tages kurz vor dem mühsamen, geradezu quälenden Aufstieg nach Annaberg. Es hätte zu Fuß schon gereicht, aber auf Knien war das noch einmal was anderes. Wer sich mit dem Auto die Serpentinen hinaufwindet, kann vielleicht nachempfinden, was das für einen müden, schwachen, vielleicht kranken Pilger bedeutet haben muss, der sich kein Mietsaumpferd (wie auf dem Aquarell dargestellt), eine Art frühes Taxi, leisten konnte. Gottlob, vor wenigen Stunden hatte Chrysostomos die Heilquelle Siebenbründl passiert. Gebet und Wasserkur hatten ihn wieder aufgerichtet.

„Höchst romantisch“ oder „österreichisches Sibirien“?


Also endlich Annaberg. Was sich hier dem Betrachter darbot, war überwältigend, ein gigantischer Berg, der Ötscher. Wir sind auch heute noch beeindruckt, trotz Fernsehdokumenationen über 8000er und vermögen uns schwer vorzustellen, wie es dem Rodauner ergangen sein muss. Den genauen Standort zu finden, an dem Eduard Gurk seine Skizze für das Aquarell anfertigte, dauerte lange und das Ergebnis war schließlich ein Kompromiss.

Annaberg, Blick gegen den Ötscher © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833
aktuelle Ansicht von Annaberg, Foto: M. Schaar

Annaberg ist die erste Station an der Via Sacra, die kein Marienort, sondern Marias Mutter geweiht ist. Auch nach ihrem Mann ist ein heiliger Berg benannt, der Joachimsberg. Nach Mariazell sind es noch rund sechs Stunden Fußmarsch über mehrere Berge, darunter der Josefsberg.
Neben einer Poststation, das Gebäude rechts im Bild steht am ehemaligen Standort, gab es 1833 fünf Gasthäuser, einen Bäcker, Fleischhauer, Wundarzt, Schmied und einen Schuhmacher. Wir verabschieden uns von Chrysostomos Panigl und fragen die derzeitige Bürgermeisterin, Petra Zeh, was heute Annaberg ausmacht.

Bürgermeisterin Petra Zeh,
Foto: Leaderregion Mostviertel
Worauf sind Sie in Ihrer Gemeinde besonders stolz?
Besonders stolz bin ich auf die Menschen und Ihren Zusammenhalt. Sie unterstützen sich gegenseitig. Vieles können wir dadurch in unserer kleinen Gemeinde schaffen. Von kleinen Projekten in den Vereinen  bis hin zu großen Projekten, wie etwa der Revitalisierung unserer Via Sacra von Wien bis Mariazell und natürlich der Landesausstellung 2015.


Welchen Stellenwert hat die Wallfahrt für Annaberg heute?
Die Wallfahrt und Annaberg waren und sind auch heute noch untrennbar miteinander verbunden. Sie ist Teil unserer Geschichte und unseres heutigen Lebens. Viele Menschen pilgern durch unsere Gemeinde und machen Halt bei der Heiligen Anna in der Wallfahrtskirche. Es erfüllt uns mit Stolz an einem Weg zu liegen, der schon seit Jahrhunderten begangen wird. Das Pilgerwesen ist Teil unserer Identität und auch Lebensgrundlage unserer Gasthäuser und Beherbergungsbetriebe.

Wenn Sie sich was wünschen dürften, was wäre es?
Ich würde mich freuen, wenn weiterhin viele Pilger auf der Via Sacra nach Annaberg und Mariazell unterwegs sind, sich etwas Zeit für sich nehmen können, auf dem Weg unserem Herrgott näher kommen und mit sich im Reinen nach Hause zurück kehren.
Pilgern ist, wenn man sich darauf einlässt, etwas Wunderschönes und Erfüllendes. Das erleben zu können, wünsche ich vielen Menschen.
Wir danken für das Gespräch!
Heute hat Annaberg 3 Gasthäuser, 2 Pensionen, einen  Nahversorger, Ärztin, Polizeistation, Volksschule, 9 Schilifte und 65 Schneekanonen.
Berühmte Söhne und Töchter Annabergs sind die Landesrätin und Innenministerin Liese Prokop [Blogbeitrag vom 25.9.2014: http://landesmuseum.blogspot.co.at/2014_09_01_archive.html], der Maler Sepp Gamsjäger und der oberösterreichische Landeshauptmann Erwin Wenzel. Leider sind alle Genannten bereits verstorben.
Die beiden Zitate im Zwischentitel stammen aus Reiseführern von Rafael Hellbach (1858) und Wenzel-Carl Wolfgang Blumenbach (1835).

Text: Gerhard Hintringer
Fotos: Mag. Monika Schaar-Willomitzer
Sonderausstellung „Malerische Wallfahrt nach Mariazell in Aquarellen von Eduard Gurk“, 26. Oktober 2014 bis 22. März 2015
 
Das empfehlenswerte Buch zur Ausstellung ist 2014 im Residenzverlag erschienen, es kostet 35 Euro und ist u.a. im Shop des Landesmuseums erhältlich.
Links zu Annaberg

#5 Das Johanniskraut – die Arzneipflanze des Jahres 2015

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Seit den 90er Jahren wählt der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg, dem Medizinhistoriker, Ärzte, Apotheker und Biologen angehören, die „Arzneipflanze des Jahres“. Für 2015 kürten sie das Echte Johanniskraut.
Johanniskraut, Bild: thinkstock, Alex Rath
Die Gattung der Johanniskräuter ist äußerst vielfältig und umfasst weltweit mehr als 450 Arten. In unseren Regionen kommen bis zu neun verschiedene Arten nebeneinander vor. Das „Echte Johanniskraut“ erkennt man u.a. an seinem zweikantigen Stängel. Sind schon Knospen oder Blüten vorhanden, dann hilft ein weiteres Erkennungsmerkmal: Zerreibt man die Blütenblätter, so färbt der austretende Saft die Finger rot. Die Pflanze findet man an Weg- und Wiesenrändern; sie wird bis zu 90 cm hoch.
Den Namen Johanniskraut trägt die Pflanze, weil sich in der Zeit rund um das Fest Johannes' des Täufers am 24. Juni je nach Witterung die Knospen zeigen oder sich bereits die gelben Blüten öffnen. Das ist dann der Beginn für die Sammelzeit der Knospen und Blüten. Seit der Antike trägt die Gattung der Johanniskräuter den Namen „Hypericum“. Das Echte Johanniskraut heißt mit lateinischen Namen Hypericum perforatum, was auf eine weitere Eigenart der Pflanze verweist: Betrachtet man die Blätter gegen das Licht, so erblickt man zahlreiche kleine Punkte, die den Anschein erwecken, als seien die Blätter fein durchstoßen. Bei den Pünktchen handelt es sich um Öldrüsen, die einen der Wirkstoffe der Pflanze, das Hypericin, enthalten.

Johanniskraut, Bild: thinkstock
Die Beliebtheit der Pflanze und ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten spiegeln sich im Variantenreichtum der Bezeichnungen im Volksmund, der das Kräutlein u.a. als Antoniuskraut, Blutkraut, Brustkraut, Donnerkraut, Eisenhart, Feldhopfenkraut, Feuerkraut, Fieberkraut, Frauenkraut, Gottesblut, Hanskraut, Hanskräutel, Hasenkraut, Herrgotsblume, Herrgotsträne, Herrgottsblut, Herrgottskraut, Hexenkraut, Jesuwunderkraut, Johannesbettstroh, Johannisblut, Johannishartheu, Johannisschweiß, Kälberkraut, Kleine Johannisblume, Kranzkraut, Leibwehblume, Liebeskraut, Löcherkraut, Marienkraut, Mariens Bettstroh, Muttergotteskraut, Siebenundsiebziglöcherkraut, Sonnenwendkraut, Tausendloch, Tausendlöcherkraut, Teufelsfluch, Teufelsflucht, Teufelskraut, Tüpfelhartheu, Unseres Herrn Wundkraut, Waldhopfenkraut, Walpurgiskraut, Wundstroh oder Wurmgras bezeichnet.

Seit der Antike schätzte man die Vielfalt der Anwendungsgebiete des Krautes bei der Behandlung von Krankheiten. So empfahl der griechische Arzt Dioskurides, der im 1. Jahrhundert n. Chr. als Militärarzt im Dienste der Römer stand und mit seinem Werk „Materia Medica“ zum berühmtesten Pharmakologen des Altertums wurde, das Kraut als Umschlag gegen Brandwunden und die reife Frucht des Krautes, in Honigwasser eingelegt, gegen Ischias. 

Johanniskraut, Bild: thinkstock
Paracelsus (geb. um 1493-1541) widmete dem Echten Johanniskraut eine ausführliche Erläuterung, in der er dessen Wirkung nicht nur als Wundheilmittel, sondern auch als Vertreiber der Melancholie – und als Wurmmittel pries.
Eines der ausführlichsten und originellsten Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts stammt aus der Feder des Botanikers und Mediziners Tabernaemontanus – eigentlich Jacobus Theodorus  (1522/5-1590); sein Name „Tabernaemontanus“ ist eine latinisierte Form seines Geburtsortes Bergzabern in Rheinland-Pfalz. Tabernaemontanus war zunächst als Kräutersammler in Weißenburg im Elsass tätig; dann studierte er Medizin in Padua und Montpellier. Nach seiner Rückkehr betrieb er in Weißenburg eine Apotheke. Für seine weitere Laufbahn war die Begegnung mit dem Botaniker Hieronymus Bock maßgeblich. 1588 erschien sein „Neuw Kreuterbuch“ im Druck, ein Werk mit fast 1600 Seiten und mehr als 2000 Holzschnitten.
In den Texten zu den einzelnen Pflanzen beschreibt Tabernaemontanus diese nicht nur genau aus botanischer Sicht, sondern sammelt auch das Wissen um ihre Wirkweise und greift dabei auf vergangene Autoritäten zurück. Zum Johanniskraut zitiert er etwa Dioskurides und den flämischen Botaniker und Arzt Rembert Dodoens, genannt Dodonaeus (1516/17-1585). Dann geht er auf die Wirkung bei innerer und äußerer Anwendung des Krautes ein: Siedet man das Kraut in Wein, so besitzt es harntreibende Wirkung, hilft bei Blasensteinen, wie die antiken Autoritäten berichten, und bei Menstruationsbeschwerden. Der so gewonnene Saft dient auch als Mittel gegen das dreitägige Fieber. Äußerlich angewendet beschleunigt es die Wundheilung und wirkt gegen Entzündungen. Frauen, die in Kindsnöten liegen, sollen mit dem Kraut beräuchert werden, deshalb wird das Johanniskraut auch Frauenkraut genannt. Im Anschluss beschreibt Tabernaemontanus die Herstellung von Johanneskrautwasser und Johanniskrautöl. 


Johanniskraut, Bild: thinkstock
Beide Mittel empfiehlt er bei Schlaganfall, roter Ruhr, bei Koliken und Verdauungsbeschwerden jeglicher Art. Er empfiehlt auch die Verwendung des Johanneskrautes als Apotropäum gegen Gespenster und Ungewitter. Hier wird man wohl an eine Anwendung als Räucherkraut denken. Tabernaemontanus folgte in seinen Angaben seinem Lehrer Hieronymus Bock, der in seinem „New Kreuterbuch“ ganz ähnliche Wirkweisen des Krautes beschrieben hatte. 
In den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kräuter- und Arzneibüchern wird die heute bekannte stimmungsaufhellende Wirkung des Johanniskrautes nur selten erwähnt. In Zedlers „Grossem vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste“, das in den Jahren 1732 bis 1754 erschien, wird dann das Rezept für eine Tinktur angeführt, deren Grundsubstanz  aus Johanneskraut gewonnen wird und die als Heilmittel gegen Schwermut, Raserei, Tollsucht und allgemein gegen Schwachheit des Geistes angepriesen wird. Dem Johanniskraut werden allerdings bei der Herstellung noch andere Substanzen wie Ackergauchheil (Anagallis arvensis) oder Eselsblut, das aus einer Ader hinter dem Ohr gewonnen wird, hinzufügt; sie alle werden gemeinsam destilliert, das Destillat wird mit Branntwein verdünnt und im Bedarfsfall eingenommen.
- Wohl bekomm’s!


Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

#6 Die Küchenzwiebel - die Heilpflanze des Jahres 2015

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Zwiebel © thinkstock
Wenn der Hals kratzt und der Hustenreiz nicht weichen will, dann werden in vielen Haushalten alte Hausmittel ausprobiert; eines davon war bei mir zuhause immer „Zwiebelmilch“. Dazu wurde eine Zwiebel geschält und geviertelt, Milch erhitzt und die Zwiebelstückchen darin für 30 Minuten eingelegt; dann wurde die Zwiebel entfernt und die Milch mit Honig gesüßt. Allein der Gedanke, diese Milch trinken zu müssen, hat bei mir oft eine Schnellheilung bewirkt.

Die Küchenzwiebel – Allium cepa L. – spielt nicht nur in den Kochtöpfen als Gewürz oder Gemüse eine wichtige Rolle. Sie ist überdies reich an medizinisch wirksamen Inhaltsstoffen: Sie wirkt antibakteriell, senkt den Blutdruck, den Blutzucker und verbessert die Blutfette; sie macht das Blut dünnflüssiger und wirkt antiasthmatisch. Äußerlich kann man ihren Saft gegen Insektenstichen und Furunkeln anwenden. Umschläge mit gehackter Zwiebel wirken auch sehr gut bei Blutergüssen. 
Diese vielfältige Wirkweise ist sicher ein Grund dafür, dass der „Verband der Heilkräuterfreunde Deutschlands“ gemeinsam mit dem „Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim“ die Küchenzwiebel zur Heilpflanze des Jahres 2015 wählte.


Wo die Vorfahren der Küchenzwiebel beheimatet waren, wissen wir nicht genau. Man nimmt Mittelasien oder Afghanistan an; die nächste Verwandte unserer Küchenzwiebel wächst heute in Turkmenistan und im Iran. Seit mehr als 5.000 Jahren wird die Küchenzwiebel als Heil-, Gewürz- und Gemüsepflanze kultiviert. Sie ist damit eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Mit Zwiebeln wurden die Arbeiter beim Pyramidenbau in Ägypten bezahlt; Zwiebeln gab man den Toten auf die Reise ins Jenseits mit; so fanden sich Zwiebel im Grab Tutanchamuns. Beim Auszug aus Ägypten beklagten die Israeliten ihre Entbehrungen, sie sehnten sich nicht nur nach den Fleischtöpfen Ägyptens, sondern auch nach „Gurken und Melonen, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch“ (4 Moses 11). Auch bei den Römern waren Zwiebeln bei der einfachen Bevölkerung ein Grundnahrungsmittel. Römische Legionäre sorgten für ihre Verbreitung in Mitteleuropa. Ab nun fehlten Zwiebeln in keinem Koch- und Arzneibuch mehr.
Im ältesten erhaltenen Buch der Klostermedizin – im Lorscher Arzneibuch, um 795 in lateinischer Sprache im Kloster Lorsch bei Worms niedergeschrieben  – werden Zwiebeln als Heilmittel „gegen die Fäulnis des Mundes, der Zunge und des Gaumens sowie zur Behandlung von Zahnfleisch, welches vom Leibessaft zerfressen wird“ eingesetzt; man verwendet sie äußerlich gegen Knoten und Schmerzen in den Brüsten. Gegen Furunkel und Karbunkel legte man Zwiebeln, die man vorher in Asche geröstet und mit Honig vermischt hatte, als Pflaster auf die betroffene Stelle auf.
Ausführlich beschäftigen sich die Kräuterbücher der frühen Neuzeit mit der Zwiebel: lassen wir wieder einmal Leonhart Fuchs mit seinem 1543 erschienenen Kräuterbuch zu Wort kommen:


Zwiebel © thinkstock
„Es seind vil geschlecht der Zwibel / welche alle Theophrastus unnd Plinius erzelen / on not hie vil darvon zu schreiben. Die Zwibel aber so in unsern landen wachsen seind ettlich groß / ettlich klein / an der farb ettlich rot / ettlich weiß / ettlich rund / die andern lang. Die besten aber seind die runden und von farben rot.
Die Zwibel haben bletter fast wie der Lauch / inwendig hol / jre stengel oder rhör seind rund / die gewinnen an den gipffeln runde köpfflin mit dünnen weissen heütlin überzogen / die brechen mit der zeit auff / unn kriechen die bleychweisse gestirnte blümlin vil neben einander getrungen herfür. Sölch blümlin werden zu kleinen knöpfflin oder böllin / in deren yedem seind zwey oder drey schwartz eckete körnlin verschlossen. Die wurtzel ist rund wie ein kleins köpfflin / auß vilen dünnen schelfen oder heütlin zusamen gesetzt / die aller außwendigsten aber seind gantz zart unnd rotlecht. An disem köpfflin hangen zu öberst kleine weisse zaseln wie das har. […]

Die krafft und würckung.
Die langen Zwibel seind scherpffer dann die runden / die roten mehr dann die weissen / die dürren dann die grünen / die rowen dann die gesotten. Doch beissen allerley Zwibel / machen bläst / oder wind / reytzen zu essen / zerteylen / machen durst / und reynigen. Sie lindern den stulgang. So man sie schelet unnd in öl legt / darnach zäpfflin darauß macht / und in den affter thut / so eröffnens die gulden oder rosen ader. Der safft vonn Zwibeln außgetruckt / mit hönig vermischt und in die augen gethon / macht lautere augen / vertreibt die fäl / und den anfang des starns. Er bringt den frawen jre kranckheyt in die weiblich scham gethon. Reyniget das haupt in die nasen gethon. Zwibel safft mit saltz / rauten / und hönig vermischt / ein pflaster darauß gemacht und übergelegt / ist ein köstlich artzney zu den wunden / so von unsinnigen hunden seind gebissen. Der safft mit essig vermengt / und an der sonnen angestrichen / vertreibt die weissen unnd schwartzen masen am leib. Gedachter safft mit hennen schmaltz vermischt / ist nützlich denen so die schuch getruckt haben / ein sälblin darauß gemacht. Der safft in die ohren gethon / bringt das gehör / und nimpt das sausen im kopff. Er macht das har widerumb wachsen / so man das haupt darmit reibt. Der Zwibel so er zuvil würt in der speiß gebraucht / macht er weetagen des haupts. So er wol gesotten ist / treibt er den harn. In den kranckheyten zuvil gessen / auch gesotten / bringt er mit sich ein starcken schlaff. Mit kleinen weinbeerlin und feigen zerstossen und übergelegt / zeitiget er / und bricht die geschwär. Der Zwibel zerteylt die groben zähen flüß im leib.“
(zitiert nach: http://www.waimann.de/capitel/163.html#Abb_241)
Zwiebel © thinkstock
Kehren wir noch einmal zur Kultivierung der Gemüsezwiebel zurück: Die Zwiebel liebt lockere, leichte Böden; ideale Verhältnisse für ihr Gedeihen finden sich in der Region rund um Laa an der Thaya, wo eines ihrer traditionellen Hauptanbaugebiet in Österreich liegt. Im Gegensatz zur Massenproduktion in anderen Gegenden Europas wird die Gelbe und Rote Laaer Zwiebel hier nicht bewässert und reift natürlich am Feld ab. Der Ertrag der Felder ist dadurch zwar geringer, die geschmackliche Qualität der Zwiebeln aber um vieles besser. Ebenso positiv wirkt sich das auf ihre Lagerfähigkeit aus. Die Küchenzwiebel und die etwas größere Gemüsezwiebel wurden in das „Register der Traditionellen Lebensmittel“ aufgenommen und die Region um Laa ist als „Laaer Zwiebel“ unter den Genussregionen Österreichs registriert (http://www.genuss-region.at/genussregionen/niederoesterreich/laaer-zwiebel/index.html).


Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra

Pilgern mit Eduard Gurk – Lilienfeld und Marktl

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Bisher erschienen:
http://landesmuseum.blogspot.co.at/2014/10/pilgern-mit-eduard-gurk.html
http://landesmuseum.blogspot.co.at/2015/01/pilgern-mit-eduard-gurk-die-heiligen.html

Monika Schaar-Willomitzer und ich sind weiterhin auf Spurensuche und besuchen Örtlichkeiten, die der Biedermeiermaler Eduard Gurk in seiner „Mahlerischen Reise von Wien nach Maria Zell“ 1833 dargestellt hat, zuletzt waren wir in Annaberg zu Gast [s. Beitrag 2015/01]. Auf dem Blatt „Aussicht vom Annaberge gegen den Ötscher“ ist ein Zisterziensermönch zu sehen. Diesen Geistlichen hatte das Stift Lilienfeld zugeteilt, dort finden wir uns dieses Mal ein.

Bevor wir Lilienfeld erreichen, legen wir noch einen Zwischstopp in Marktl ein. Der Ortsteil ist geprägt von Industrie, Autoverkehr und Traisen. Schon zu Gurks Zeiten stand hier eine mächtige Fabriksanlage, aus deren Schloten sich der Rauch malerisch mit den Wolken vermischte. Heute steht an dieser Stelle das Stammwerk der Firma Neumann Aluminium und Prefa Aluminiumprodukte. Der dargestellte Stein mit Marterl existiert nicht mehr, er musste der Straßenverbreiterung weichen. Das dahinterliegende Haus indes scheint sich seit damals kaum verändert zu haben. Gurks Position konnten und wollten wir dieses Mal nicht einnehmen, es wäre die Straßenmitte der heutigen B 20 gewesen, andernfalls wäre dieser Beitrag vermutlich nie erschienen, an anderer Stelle aber vielleicht ein Nachruf.


Marktl bei Lilienfeld © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833


aktuelles Bild Marktl bei Lilienfeld,
Foto: Monika Schaar-Willomitzer

Der Schlaumeier Eduard Gurk hat nicht nur 40 Aquarelle entlang der Via Sacra von Wien nach Mariazell geschaffen, sondern in seinen Werken zusätzlich verschiedene Tageszeiten und Witterungsverhältnisse dargestellt. Auf unserem Bild geht gerade die Sonne auf. Als die Pilger vor zwei Stunden in St. Veit an der Gölsen zur zweiten Etappe der Wallfahrt aufbrachen, war es noch Nacht.


Stift Lilienfeld © Land Niederösterreich,
Landessammlung Niederösterreich, Eduard Gurk, 1833

Von Marktl bis zum Stift sind es nur mehr zwei Kilometer. Den Standort für die Aquarellskizze zu finden, gestaltete sich mühsam. Wenn wir das Blatt „Stift Lilienfeld“ betrachten, erkennen wir am rechten unteren Bildrand zwei Männer (einer davon vermutlich der Abt, der andere möglicherweise Eduard Gurk) auf einem Bankerl sitzend. Wir wollen wissen, ob es heute noch besteht und nehmen den steilen Aufstieg zur Schrittwieser-Ruhe in Kauf. Dort angekommen taucht ein Problem auf: Bankerl ist da, aber das Stift sieht man nicht mehr. Es ist gerade noch ein kleiner Teil der Stiftskirche sichtbar, der Rest ist von Bäumen verdeckt. Die Beschreibung des Reiseschriftstellers F. X. Schweickhardt von 1836, „von der Anhöhe hat man den besten Überblick“, kann als überholt betrachtet werden. Die Vegetation im Biedermeier unterscheidet sich von der heutigen deutlich.

Die heutige Anhöhe, Foto: Monika Schaar-Willomitzer
Stift Lilienfeld. Foto vor dem Zdarsky-Museum
von: Monika Schaar-Willomitzer

Dafür gibt es freilich eine plausible Erklärung: während zu Beginn der 19. Jahrhunderts der Holzverbrauch durch die aufkommende Industrie intensiv war, sind Maßnahmen zur Aufforstung in den letzten 20 Jahren heute schon deutlich spürbar.

Aber zurück zu unserem Thema, dem Pilgern mit Eduard Gurk und der Spurensuche im Heute. Die historischen Fakten zu Stift und Stadt sind überall nachlesbar, das schenken wir uns also und fragen den Lilienfelder Bürgermeister, Herbert Schrittwieser, zur aktuellen Situation. 

Worauf sind Sie in Ihrer Gemeinde besonders stolz?


Bürgermeister Herbert Schrittwieser,
Foto: Stadtgemeinde Lilienfeld


Lilienfeld ist als kleine Bergstadt in einer wunderschönen Lage zentraler Ort des Bezirkes und mit dem Zisterzienserstift auch geistiges und kulturelles Zentrum des oberen Traisentales. Ich bin stolz, dass wir über viele Jahre in dieser schönen Stadt eine zukunftsorientierte Entwicklung betreiben konnten und die Positionierung als Bezirksstadt festigen und ausbauen konnten.
Welchen Stellenwert hat die Wallfahrt für Lilienfeld heute?
Als Obmann der Region Traisen- Gölsental war ich auch Initiator zur Wiederbelebung des Wallfahrerweges VIA SACRA. Es war eine große Herausforderung rund 30 Gemeinden über mehrere Bezirke und Regionen für das Projekt zu begeistern und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Inzwischen kann man von einer Erfolgsgeschichte sprechen die bestens funktioniert.

Wenn Sie sich was wünschen dürften, was wäre es?
Der Stellenwert des Pilgerns ist sehr hoch und der Zuspruch steigend. Ich wünsche mir, dass dieser Trend anhält und viele Menschen durch das Pilgern an der VIA SACRA ihre Achtsamkeit stärken und die Schönheit der Landschaft und der Orte an der VIA SACRA sehr bewusst erleben und wahrnehmen können. Für Lilienfeld wünsche ich mir, dass wir von Katastrophen verschont bleiben und dass die Gäste bei uns immer freundliche Begegnungen vorfinden und so immer gute Erinnerungen gegeben sind.
Wir danken für das Gespräch!

Abseits der Wallfahrt: Der ehemalige Fußballspieler Toni Pfeffer und der Direktor des Circus Roncalli, Bernhard Paul, sind hier geboren, die Doppelolympiasiegerin Michaela Dorfmeister hat hier die Schihauptschule absolviert, seit 2006 ist sie deren Namenspatronin. Und nicht zu vergessen, der Schöpfer des modernen Schilaufs, Mathias Zdarsky, hat in Lilienfeld gewirkt.

Text: Gerhard Hintringer
Fotos: Mag. Monika Schaar-Willomitzer

Sonderausstellung „Malerische Wallfahrt nach Mariazell in Aquarellen von Eduard Gurk“, 26. Oktober 2014 bis 22. März 2015

Das empfehlenswerte Buch zur Ausstellung ist 2014 im Residenzverlag erschienen, es kostet 35 Euro und ist u.a. im Shop des Landesmuseums erhältlich.

Film des Monats Februar 2015: Via Sacra von Wien nach Mariazell (Gemeinschaftsproduktion von Zisterzienserstift und Bezirksheimatmuseum Lilienfeld). Die DVD ist im Stift und im Landesmuseum erhältlich.

Links zu Lilienfeld:
www.lilienfeld.at
www.cisto.at/stift/
www.kloesterreich.at/unsere-kloester/stift-lilienfeld/stift-lilienfeld
www.zdarsky-ski-museum.at
www.viasacra.at
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